Warum Kim Jong-un wieder zündelt

Nordkorea provoziert wieder: Diese Bilder, die die Staatsagentur KCNA verbreitet hat, zeigen Kims jüngsten Raketentest.
Nordkorea provoziert wieder: Diese Bilder, die die Staatsagentur KCNA verbreitet hat, zeigen Kims jüngsten Raketentest. (c) APA/AFP/KCNA VIA KNS
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Trotz Nordkoreas Raketentests setzt Donald Trump weiter auf einen „Deal“ mit Pjöngjang. Kim will offenbar Druck auf die USA erhöhen – und hat dazu Rückendeckung aus Moskau.

Tokio. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis Nordkoreas Diktator, Kim Jong-un, den nächsten Warnschuss in Richtung Washington abfeuert. Am Wochenende war es wieder einmal so weit. Von der östlichen Landzunge Hodo feuerte Nordkoreas Militär diverse Raketen ins Japanische Meer. Offizieller Anlass könnte ein gemeinsames Manöver der amerikanischen und südkoreanischen Luftwaffe gewesen sein. Eigentlicher Grund dürfte jedoch sein, nach dem gescheiterten Hanoi-Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Kim den Druck zu verstärken.

„Es ist eine Botschaft, das Regime könnte zu seinem früheren Konfrontationskurs zurückkehren, falls die festgefahrene Situation nicht aufgelöst wird“, analysiert Experte Yang Uk vom Korea Defence and Security Forum.

Nordkoreas „eiserne Wahrheit“

Südkoreas Generalstab meldete, der Norden habe „eine Reihe von Kurzstreckenprojektilen“ abgefeuert, die 70 bis 200 Kilometer geflogen und dann ins Meer gestürzt seien. Diktator Kim ließ über die staatliche Agentur KCNA verlauten, es habe sich um eine „Angriffsübung“ gehandelt, mit der die „Betriebsfähigkeit und Genauigkeit von großkalibrigen Langstreckenmehrfachraketenwerfern“ sowie von taktischen Lenkwaffen überprüft worden seien. Die Abschüsse über dem Japanischen Meer sollten Nordkoreas Soldaten an die „eiserne Wahrheit“ erinnern, dass „wahrer Frieden und Sicherheit nur durch machtvolle Stärke gesichert und garantiert“ seien.

Der Präsidentenpalast in Seoul erklärte umgehend, „die Tests verstoßen gegen ein militärisches Abkommen“, das Nord- und Südkorea im vergangenen Jahr unterzeichnet hatten. Das gäbe zu der „sehr großen Sorge“ Anlass, dass Pjöngjang seine Zusagen nicht einhalte. Erst am Freitag hatte Südkoreas Außenministerin, Kang Kyung-wha, von Nordkorea „sichtbare, konkrete und substanzielle“ Schritte bei der Denuklearisierung gefordert, wenn es die Lockerung der Sanktionen wirklich wolle.

In etwa dieselbe Kerbe schlägt auch das Weiße Haus in Washington. US-Präsident Donald Trump reagierte prompt, versuchte aber, den Vorgang politisch herunterzuspielen, und erinnerte Nordkorea an die ökonomischen Konsequenzen solcher Aktionen. Er glaube, dass sich Kim Jong-un des „großen wirtschaftlichen Potenzials“ bewusst sei und es nicht beschädigen wolle. Kim wisse, dass er, Trump, auf seiner Seite stehe und „sein Versprechen an mich nicht brechen“ wolle. „Es wird zu einem Deal kommen“, twitterte Trump.

Aber wie sollte dieser aussehen? Die Meinungen darüber sind in Washington und Pjöngjang diametral. Offenbar mit Moskauer Rückendeckung verschärft das Kim-Regime seit dem Gipfel mit dem russischen Präsidenten, Wladimir Putin, am 25. April in Wladiwostok den Ton. Kim habe dort dem Kreml-Chef erklärt, die USA hätten das Hanoi-Treffen in „böser Absicht“ platzen lassen.

In der Folge „stagniert die Situation auf der koreanischen Halbinsel und in der Region und hat einen kritischen Punkt erreicht“, zitiert KCNA den Diktator. Nordkorea wappne sich für „alle möglichen Situationen“, einschließlich der „Rückkehr zum Ursprungszustand der Spannungen“.

Kim hatte sich auf der konstituierenden Sitzung seines Parlaments Mitte April darüber beschwert, dass die USA Nordkorea mit einseitigen Forderungen zur Aufgabe des Atomprogramms zwingen wollten. „Dieser Dialogstil passt uns nicht, und wir haben kein Interesse daran“, wird Kim von den Staatsmedien zitiert. Die USA müssten mit einem „neuen Plan zu uns kommen“, und Trump müsste „endlich zu einer mutigen Entscheidung bereit sein“.

Nach wie vor geht der US-Präsident von einem möglichen dritten Gipfel – nach Singapur und Hanoi – aus. Bisher gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass Washington zu einer wesentlichen Lockerung der Sanktionen gegenüber Pjöngjang bereit ist. Die USA wollen sich angesichts des Risikos, das auch weiterhin von Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm ausgeht, auf ultimative Forderungen von Kim Jong-un nicht einlassen. Bisher war die US-Verhandlungstaktik aufgegangen: Solange es Gespräche gibt, schießt Nordkorea keine Raketen ab.

Desaströse Wirtschaftslage

Aber nun verliert Kim offenbar die Nerven. Nach Einschätzung des Seouler Geheimdienstes ist der Machthaber zudem durch den massiven Einbruch der Wirtschaft – auch in Folge der USA-Sanktionen – sehr verunsichert. Die Lage in dem international isolierten Nordkorea ist nach der jüngsten Einschätzung der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) und des Welternährungsprogramms äußerst ernst. Die Regierung in Pjöngjang habe die Nahrungsmittelrationen für Millionen hilfsbedürftige Einwohner drastisch reduziert. Statt täglich 380Gramm würden seit Januar nur noch 300 Gramm pro Person verteilt.

AUF EINEN BLICK

Das stalinistische Regime in Pjöngjang hat eigenen Angaben zufolge Mehrfachraketenwerfersysteme mit größerer Reichweite und taktische Lenkwaffen getestet. Diktator Kim Jong-un habe die Tests vom Samstag im Rahmen einer Übung persönlich überwacht und sich mit der Ausführung zufrieden gezeigt, berichteten die Staatsmedien am Sonntag. Experten vermuten, Nordkorea könnte ein ballistisches Raketensystem erprobt haben.

UNO-Resolutionen verbieten dem Land Raketentests unter Verwendung ballistischer Raketentechnik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.05.2019)

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