Eine militärische Konfrontation im Persischen Golf rückt näher. Doch keine Seite hat ein Interesse an einer völligen Eskalation.
Istanbul/Teheran. 16 Jahre nach der US-Invasion im Irak steht die Golfregion vor einem neuen Krieg. Als Reaktion auf den Abschuss einer US-Drohne durch die iranischen Revolutionsgarden über der Straße von Hormus holte das US-Militär in der Nacht zum Freitag zu einem Vergeltungsschlag aus, hielt aber im letzten Moment inne. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Eskalation.
1 Wie nah ist ein neuer Krieg in der Golfregion?
Ein Krieg könnte jederzeit ausbrechen. Die USA haben mehrere zehntausend Soldaten sowie starke Marine- und Luftwaffenverbände in der Region stationiert, der Iran verfügt über viele Raketen und kann sich auf die Unterstützung von proiranischen Milizen und Gruppen im Nahen Osten verlassen.
Der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran im Vorjahr und die seitdem verhängten Wirtschaftssanktionen haben die Eskalationsspirale in Gang gesetzt. Mehrere Anschläge auf Öltanker im Persischen Golf sowie auf Ölanlagen und einen Flughafen beim amerikanischen Partner Saudiarabien in den vergangenen Wochen sind wahrscheinlich von iranischen Kräften oder verbündeten Milizen wie den Houthis im Jemen verübt worden.
Mit den Anschlägen wollen die Iraner den USA zeigen, dass der Preis für eine militärische Konfrontation hoch wäre: Schläge gegen die Schifffahrt im Persischen Golf und Anschläge auf amerikanische Verbündete oder auf US-Truppen im Irak oder in Syrien. Auch Israel und Saudiarabien könnten in den Krieg verwickelt werden.
2 Wer will überhaupt einen Krieg?
Auf beiden Seiten gibt es starke Kräfte, die eine Konfrontation wollen. In der US-Regierung werben vor allem Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Michael Pompeo für einen harten Kurs. Ihnen wird nachgesagt, die Regierung in Teheran stürzen zu wollen. Zu den Iran-Hardlinern zählen auch Israel und Saudiarabien.
Im Iran hat Präsident Hassan Rohani einen schweren Stand. Entgegen seinen Ankündigungen hat sich die Lage nach dem Atompakt nicht verbessert, sondern verschlechtert. Radikalere Kräfte wie die Revolutionsgarden haben Oberwasser. Sie haben ein wirtschaftliches Interesse an weiteren Spannungen: Sie verdienen mit der Einfuhr vieler Güter unter Umgehung der US-Sanktionen viel Geld. Sollten die Sanktionen wegfallen, würden sie wichtige Einnahmequellen verlieren.
3 Was wären die wichtigsten Kriegsziele?
Keine der beiden Seiten kann realistischerweise hoffen, ihre politischen Ziele mit einem Krieg durchzusetzen. Die USA fordern vom Iran, er solle sein Raketenprogramm einstellen, strengen Atomkontrollen zustimmen und die Unterstützung für radikale Gruppen wie die Hisbollah im Libanon beenden. Keine iranische Regierung wird eine solche Einigung unterschreiben. Auch würden sich die meisten Iraner in einem Krieg auf die Seite ihres Landes stellen, selbst wenn sie das Regime ablehnen.
Teherans wichtigstes Ziel ist die Lockerung der Sanktionen. Dazu braucht der Iran internationale Bündnispartner, doch ein Krieg würde den Iran noch stärker international isolieren.
4 Wer kann eine Eskalationsspirale stoppen?
US-Präsident Trump ist weniger scharf auf einen Krieg als manche seiner Berater. Er wandte sich via Oman mit einem Verhandlungsangebot an Teheran. Trump ist für seine Kritik an den US-Kriegen in Nahost bekannt. Ein Krieg während des Wahlkampfs wäre nicht in seinem Sinne.
Auch der Iran hat kein Interesse an einem Krieg. Zwar betrachtet Teheran die Krise als Druckmittel, um insbesondere die Europäer dazu zu bringen zu fordern, dass die USA zumindest einen Teil der Sanktionen wieder zurücknehmen. Doch der Ausbruch eines Krieges wäre für den Iran eine Katastrophe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2019)