Ukraine: "Selenskij wird nicht allen Wählern gefallen können"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij.(c) Reuters
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Analystin Nadiia Koval vom Kiewer Außenpolitik-Think Tank „Ukrainian Prism“ spricht über den aktuellen Wahlkampf des neuen Präsidenten, sein bunt gemischtes Team, die Rückkehrversuche der Janukowitsch-Kräfte und die Konfliktlösung im Donbass.

Die Presse: Wie hat sich das Team von Präsident Wolodymyr Selenskij auf die Wahlen am Sonntag vorbereitet?

Nadiia Koval: Damit Selenskij alle Wahlkreise mit Personal füllen konnte, hat er alle möglichen Kandidaten genommen. Es ist eine sehr unterschiedliche Mischung aus Menschen: Manche sind desillusionierte Reformer, andere lokale Schwergewichter.

Kann man bereits sagen, in welche Richtung es künftig programmatisch gehen wird?

Die ideologische Linie wird erst entworfen. Es gibt verschiedene Einflusszentren mit unterschiedlichen politischen Messages. Das sieht man auch in den Wahlkämpfen: Der Erfolg der Präsidentenkampagne lag eben genau darin, verschiedene Botschaften an verschiedene Publikumskreise zu senden. Jetzt versuchte man dasselbe. Die Aufgabe ist wieder, so viele unterschiedliche Stimmen wie möglich zu bekommen. Das ist ein Risiko für die generelle Stabilität des Landes. Welche Richtung wird man einschlagen, wenn man einmal die Mehrheit hat? Selenskij wird nicht allen Wählern gefallen können. Was er allerdings geschafft hat, ist, das Monopol des Oppositionsblocks im Osten des Landes zu brechen (im Osten und Süden populäre Nachfolgepartei der Partei der Regionen von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch, Anm.). Der prorussische Block ist dort nicht mehr an erster Stelle, er ist zu einer Alternative unter mehreren geworden.

Ist Selenskij Ihrem Eindruck nach ein starker oder ein schwacher Präsident?

Der Präsident ist schwach und ihm fehlt es an Kompetenzen. Er kommt aus einer vollkommen anderen Welt, er hat keine Beziehungen in der Politik und keine klare Orientierung. Er lernt schnell, aber er hat Lücken. Aber er ist von erfahrenen politischen Playern umgeben, die versuchen, sich diese Situation zunutze zu machen. Es ist leicht, ihn zu manipulieren. Es gibt verschiedene Einflusskreise um ihn herum.

Versuchen jetzt auch Kader der Partei der Regionen wieder Einfluss zu erlangen?

Ja, sie machen das bereits. Da gibt es etwa Andrij Portnow (Ex-Vizechef der Präsidialadministration, Anm.), der mehr als fünf Jahre lang im Exil lebte und zum neuen Leiter der Präsidialadministration, Andrij Bohdan, gute Beziehungen hat. Er hat als Jurist Einfluss auf das Justizsystem (von ihm stammt der Vorschlag, das für Janukowitsch-Beamte geltende Lustrationsgesetz auf die Ära Poroschenko auszudehnen, eine Idee, die Selenskij offenbar aufgenommen hat, Anm.). Schon bei der Registrierung zur Wahl haben wir verschiedene Versuche von Ex-Kadern der Partei der Regionen beobachtet, die sich aufstellen lassen wollten. Aber man muss die letzten fünf Jahre in der Ukraine gelebt haben, um Kandidat zu werden. Viele von ihnen waren im Ausland. Die Gerichte haben in den meisten Fällen das Antreten dieser Kandidaten nicht gestattet. Oligarch Ihor Kolomojskij agiert hingegen nicht so direkt, aber er versucht auch, seine politische Visionen und ökonomische Interessen zu verwirklichen.

Der neue Präsident gibt sich gesprächsbereit mit Russland. Welche Signale erhält Selenskij aus Moskau?

Ich sehe keine aufmunternden Signale für Selenskij aus Moskau. Selenskij will den Nöten der Menschen im ostukrainischen Konfliktgebiet mehr Aufmerksamkeit schenken. Er denkt weniger strategisch als der frühere Präsident Petro Poroschenko, sondern mehr in humanitären Kategorien. Selenskijs Wähler wollen Frieden, er verspricht das. Schon Poroschenko hat Frieden versprochen, dafür wurde er 2014 gewählt. Aber das ist eine sehr abstrakte Kategorie. Welchen Frieden meinen wir? Ob Selenskijs Initiativen – aktuell der Truppenrückzug in Staniza Luhanska – wirklich zu einer friedlicheren Lage führen werden, ist offen. Poroschenko hat den Konflikt eingefroren, Selenskij taut ihn auf. Das ist ein Risiko. Es könnte auch zu mehr Gewalt im Konfliktgebiet führen.

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