Minister Gove geht nicht von neuem Deal mit der EU aus. Partei-Rebellen wollen eine parteiübergreifende Allianz schmieden, während schon über Neuwahl spekuliert wird.
London. Die neue britische Regierung mag einen harten Brexit weiterhin nicht offiziell zu ihrem Ziel erklären, sie geht aber bereits davon aus: Wir arbeiten auf der Basis, dass es zu keiner Neuverhandlung des bestehenden Deals mit der EU komme, schrieb der für die Brexit-Vorbereitungen zuständige Minister Michael Gove in der „Sunday Times“. Er bekräftigte: „Wir verlassen am 31. Oktober die EU. Ohne Wenn und Aber. Ohne weitere Verzögerung. Der Brexit findet statt.“
Premier Boris Johnson verlangt von der EU die Streichung der angeblich „undemokratischen“ Auffanglösung für Irland, die eine befestigte Grenze zwischen der Republik Irland und der Provinz Nordirland verhindern soll. Entschlossen halten die EU-27 daran fest. Frankreichs Ex-Europaministerin und heutige EU-Abgeordnete Nathalie Loiseau erwiderte: „Ihr habt euren Premier geändert, aber wir nicht unsere Meinung.“
Ein politisches Todeskommando
Gove, früherer Brexit-Mitstreiter von Johnson und später sein Widersacher, war in der radikalen Kabinettsumbildung in den engsten Führungskreis und zu einem der De-facto-Vizes Johnsons berufen worden. Zugleich bedeutet die Aufgabe, das Land für den Brexit vorzubereiten, ein politisches Todeskommando. Was immer schiefgehen wird, Gove wird den Kopf hinhalten müssen. Um Versorgungsengpässe zu verhindern, will der neue Schatzkanzler Sajid Javid „signifikant erhöhte Mittel“ bewilligen: „Das ist unsere Priorität.“
Loiseau, Vertraute des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, warf London bewusste Konfrontation vor: „Warum eine Krise erzeugen, wenn es eine Lösung gibt?“ Johnson wies bei einer Rede in Manchester Kritik zurück, er führe sein Land in die Isolation: „Ich habe freundschaftliche Beziehungen mit allen europäischen Führern.“
Um den von der Parlamentsmehrheit abgelehnten harten Brexit am 31. Oktober zu verhindern, finden unter führenden Abgeordneten über die Parteigrenzen Gespräche statt. So wurden erste Beratungen zwischen dem früheren konservativen Schatzkanzler Philip Hammond und Labour-Brexit-Sprecher Keir Starmer bestätigt. Oppositionschef Jeremy Corbyn erklärte erneut, er werde „alles tun, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern“, und forderte eine neue Volksabstimmung.
Johnson hat selbst mit der nordirischen DUP nur eine Mehrheit von zwei Stimmen, zugleich aber mit der Regierungsumbildung 17 Konservative auf die Hinterbänke verwiesen. Seither wird über Neuwahlen spekuliert. Sein Auftritt in Manchester, in dem er ein milliardenschweres Investitionsprogramm versprach (inklusive Wiederholung von Ankündigungen von Vorgängerregierungen), war vor allem eine Wahlkampfrede in einer Labour-Hochburg. In ersten Umfragen seit seiner Amtsübernahme konnte sich Johnson über einen „Boris-Bonus“ von bis zu zehn Punkten freuen, wodurch die Konservativen derzeit mit 30 Prozent stärkste Partei wären.
Johnson und seine Umgebung schlossen vorgezogene Neuwahlen „absolut“ aus: „Die Briten wollen nicht schon wieder wählen, sie wollen, dass wir ihren Willen umsetzen.“ Johnsons Vorgängerin Theresa May erklärte am 7. März 2017 angesichts starker Umfragewerte zu Neuwahlspekulationen: „Unsere Position ist unverändert: Das wird nicht geschehen.“ Fünf Wochen später trat sie am 18. April vor das Volk und sagte: „Wir brauchen Neuwahlen, und wir brauchen sie jetzt.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2019)