Erstmals meldet sich angesichts der eskalierenden Proteste die wichtigste für Hongkong zuständige Behörde in der Volksrepublik zu Wort. Zwar stellt sich Peking öffentlich hinter Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam, doch der Druck auf sie wächst.
Rund zwei Monate schon gehen die Hongkonger auf die Straße. Doch erstmals meldete sich am Montag die wichtigste für die Hafenstadt zuständige Behörde in der Volksrepublik zu Wort: das zum chinesischen Staatsrat gehörende Büro für die Angelegenheiten von Hongkong und Macao.
Schlimmes war von dieser Stellungnahme befürchtet worden: Vergangene Woche hatte ein Sprecher der Volksbefreiungsarmee angedeutet, dass Peking Militärgewalt gegen die seit Anfang Juni andauernden regierungskritischen Proteste einsetzen könnte. Zwar deutete Yang Guang, der Sprecher des Hongkong-Büros, eine Militäroption bei einer Pressekonferenz nicht an. Dennoch war die Botschaft klar: Peking stehe weiter hinter Regierungschefin Lam. Die Gewalt „radikaler Elemente” habe die Stabilität gefährdet. Sie stelle eine ernste Herausforderung für die Rechtsstaatlichkeit, die öffentliche Ordnung, die Wirtschaft und das Leben der Menschen in der Sonderverwaltungszone Hongkong dar. Die gesamte Bevölkerung müsse sich „unmissverständlich gegen Gewalt aussprechen und sich ihr widersetzen", ergänzte er.
Am Wochenende war es bei den Protesten in der ehemaligen britischen Kronkolonie zu heftigen Zusammenstößen gekommen. Zehntausende hatten sich zwei Tage in Folge versammelt - obwohl die Behörden die Märsche verboten hatten.
Die Wut auf die Exekutive verschärft sich
Am Sonntag bahnten sich rund 200 Demonstranten den Weg vom Finanz- und Regierungszentrum der Stadt zum Pekinger Verbindungsbüro im Bezirk Sheung Wan, am Fuße des Hongkonger Stadtbergs Victoria Peak. Dort warteten Elitetruppen auf die Aktivisten. Sie setzten Tränengas und Gummigeschosse ein - einige Protestteilnehmer warfen Steine gegen die Einsatzkräfte.
Es war das zweite Mal, dass die Aktivisten ihren Unmut direkt gegen die Zentralregierung in Peking richteten. Bereits eine Woche zuvor hatten Regierungskritiker das Verbindungsbüro attackiert - mit Eiern und schwarzer Farbe, und hoch symbolisch beschmutzten sie auch das Emblem der Volksrepublik.
Was als Protest gegen ein inzwischen auf Eis gelegtes Auslieferungsgesetz begonnen hatte, hat sich zu einer der schwersten Krisen in Hongkong seit der Übergabe an die Volksrepublik 1997 ausgewachsen: Nach wie vor weigert sich Regierungschefin Lam, das Gesetz, das erstmals Überstellungen auch nur mutmaßlich Krimineller an Festland-China ermöglicht hätte, vollständig zu streichen. So fordern die Demonstranten den Rücktritt der 62-Jährigen, die sie als Marionette der Führung in Peking betrachten.
Schlägertrupps der China-Mafia
Mehr noch: Sie verlangen demokratische Reformen, ein allgemeines Stimmrecht - und eine Untersuchung des Polizeivorgehens. Schon seit Beginn der Proteste im Juni werfen die Aktivisten den Beamten eine zu harte Haltung vor. Doch die Wut auf die Exekutive verschärfte sich nach den Geschehnissen in einer U-Bahn-Station im Bezirk Yuen Long vor zwei Wochen. Dort hatten Schlägertrupps Demonstranten und unbeteiligte Pendler brutal attackiert, 45 Menschen wurden verletzt. Hinter dem Angriff werden Triaden, mafiöse Gruppen mit engen Beziehungen zu Festland-China, vermutet. Die Polizei schritt aber erst Stunden später ein.
Dass die Proteste weiter andauern, zeigt die Verzweiflung der Hongkonger - und ihre Entschlossenheit, sich gegen den Einfluss Pekings zu wehren, der seit der Machtübernahme von Staats- und Parteichef Xi Jinping 2012 stetig zunimmt. Eigentlich hatte die Volksrepublik London bei der Übergabe Hongkongs 1997 zugesichert, dass Grundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit für mindestens 50 Jahre gewahrt blieben.
Die Eskalation offenbart auch die Ohnmacht Lams, die es bis jetzt nicht geschafft hat, die Bevölkerung zu beschwichtigen. Und so waren die Worte Yang Guangs wohl auch an Pekings Statthalterin in Hongkong gerichtet: Sie müsse den Demonstrationen ein Ende setzen. Denn ein Einmarsch der Volksbefreiungsarmee, das will China im Jubiläumsjahr des Tianan'men-Massakers und des 70. Gründungstags der Republik (noch) vermeiden.