Polizeiversagen: Rumäniens Innenminister nach sechs Tagen zurückgetreten

Nicht nur in der Hauptstadt Bukarest gingen am Wochenende Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Behörden zu demonstrieren.
Nicht nur in der Hauptstadt Bukarest gingen am Wochenende Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Behörden zu demonstrieren.REUTERS
  • Drucken

Es gibt neue Details zu dem verheerenden Polizeiversagen im Fall zweier getöteter Mädchen. Eines der Opfer bat man am Notruf, „die Leitung nicht länger zu belegen".

In Rumänien ist Innenminister Nicolae Moga vor dem Hintergrund von Behördenversagen rund um die Tötung zweier Mädchen am Dienstag nach weniger als einer Woche im Amt zurückgetreten. Mogas Schritt erfolgte nur wenige Stunden vor einer von Staatspräsident Klaus Johannis einberufenen Sitzung des Obersten Verteidigungsrates, der sich mit dem Behördenversagen befassen sollte.

Es werden außerdem immer neue Informationen über das Ausmaß des Behördenversagens, insbesondere der Polizei, bekannt. Der Verteidigungsausschuss des Parlaments, der am Montag auf Antrag der Opposition die Mitschnitte von den drei Notrufen der später getöteten, 15-jährigen Alexandra anhörte, zeigte sich erschüttert: Der diensthabende Polizeibeamte hatte dem Mädchen bei dessen ersten Notruf empfohlen, "die Leitung nicht länger zu belegen". Nachdem die Jugendliche weinend beteuerte, entführt, verprügelt und vergewaltigt worden zu sein, empfahl ihr der Polizist, "bleib', wo du bist. Ich schicke eine Streife vorbei".

Die Unfähigkeit der Polizisten

Neben Mangel an Empathie muss sich die Polizei an Ort und Stelle in Caracal auch den Vorwurf krasser Inkompetenz gefallen lassen: Nachdem der ungefähre Aufenthaltsort der 15-Jährigen per Handy-Ortung bestimmt worden war, benötigte die örtliche Polizei eineinhalb Stunden, um die App zur genaueren Positionsbestimmung zu bedienen. Der zuständige Polizist habe "telefonische Anweisungen" angefordert, weil er nicht wusste, was zu tun bzw. anzuklicken sei, stellte der Vizechef des Sondertelekommunikationsdienstes STS, Brigadegeneral Sorin Balan, gegenüber dem Verteidigungsausschuss fest. Hilfe durch die Polizei kam schließlich zu spät - Alexandra war umgebracht worden. Alexandras Vater, der sein Kind bereits vorige Woche am Mittwochabend vermisst melden wollte, hatte die Polizei Caracal empfohlen, sich "lieber erst morgen wieder zu melden".

Die Ermittlungen im Fall der getöteten 15-Jährigen und eines weiteren Mädchens laufen derzeit zwar auf Hochtouren. Am Montag brachten sie aber keine neuen Erkenntnisse. Ein erster Versuch, das Tatgeschehen nachzustellen, scheiterte am mutmaßlichen Täter: Der 66-jährige, teilgeständige Gheorghe D. zeigte sich plötzlich wieder "unkooperativ", als man ihn nach Corabia an der Donau brachte, wo er die Leiche der 18-jährigen Luiza nach eigener Aussage verschwinden ließ. Ermittler und Forensiker fanden nach stundenlanger Suche nichts, was die Aussage untermauerte; der dringend Tatverdächtige schwieg nun wieder.

Dritter Verdachtsfall

Der mutmaßliche Mörder wird mittlerweile in einem dritten Fall verdächtigt: Laut seinem Pflichtverteidiger Alexandru Bogdan und einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft von Dolj ist der 66-Jährige am Dienstag auch in Zusammenhang mit einem ungelösten Tötungsdelikt aus dem Jahr 2015 verhört worden.

Damals war eine 17-jährige Schülerin vergewaltigt und anschließend enthauptet worden. Die Zehntklässlerin, die in der Kreishauptstadt Craiova über die Sommerferien bei einem zentral gelegenen Biergarten gekellnert hatte, um sich ein Taschengeld zu verdienen, war im Juli 2015 spurlos verschwunden. Wochen später wurde ihr enthaupteter Leichnam in einem Sack entdeckt, der in einem Gebüsch des beliebten Stadtparks "Romanescu" lag.

Der Fall hatte in Rumänien hohe Wellen geschlagen und die Einwohner von Craiova wochenlang in Angst und Schrecken versetzt. Caracal und Craiova liegen beide in Südrumänien, die Entfernung zwischen den Städten beträgt rund 55 Kilometer.

Demonstration in der Kleinstadt

Unterdessen nimmt in Rumänien die Welle der Empörung in der Bevölkerung angesichts der Behördeninkompetenz weiter zu: In Caracal gingen am Montagabend Hunderte Schüler, viele davon Schul- und Klassenkollegen der getöteten 15-jährigen Alexandra, auf die Straße, um gegen die Gemeindebehörden - allen voran die örtliche Polizei - zu demonstrieren. Die Jugendlichen marschierten quer durch die Kleinstadt bis vor das Anwesen des mutmaßlichen Täters. Dort riefen sie stundenlang: "Unsere Polizei tötet", "Sie hat euch vertraut, ihr habt sie im Stich gelassen", "Schande über euch" und "Rücktritt!".

Rumäniens sozialdemokratische Ministerpräsidentin Viorica Dancila hatte Mogas Vorgängerin Carmen Dan erst kürzlich abgesetzt. Dancila begründete das mit dem schlechten Image Dans in der Bevölkerung. Dan war vor allem wegen eines gewaltsamen Polizeieinsatzes mit Tränengas gegen regierungskritische Demonstranten im Vorjahr unbeliebt.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Tausende Rumänen haben vor dem Innenministerium in Bukarest am Wochenende eines ermordeten Mädchens gedacht.
Weltjournal

Rumänien: Massenproteste nach Mord an 15–Jähriger

Ein Mädchen wurde entführt – und alarmierte die Polizei. Diese schritt erst nach 19 Stunden ein. Staatspräsident Johannis macht die Regierung verantwortlich.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.