China warnt Hongkongs Demonstranten vor "Spiel mit dem Feuer"

Die Demokratiebewegung in Hongkong scheint sich allmählich zu radikalisieren. Eine vermummte Aktivistin wirft einen Stein gegen eine Polizeistation im Wohnviertel Tseung Kwan O.
Die Demokratiebewegung in Hongkong scheint sich allmählich zu radikalisieren. Eine vermummte Aktivistin wirft einen Stein gegen eine Polizeistation im Wohnviertel Tseung Kwan O. (c) REUTERS (Kim Kyung Hoon)
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Das Staatsfernsehen in Peking beginnt, die Bürger auf ein hartes Vorgehen „gegen Rowdies“ vorzubereiten. Die USA werden aufgefordert, sich "nicht einzumischen".

Hongkong. Chinas KP-Führung sendet zunehmend bedrohliche Signale an die Demonstranten in Hongkong. Peking hat sie nun vor einem „Spiel mit dem Feuer“ gewarnt. „Unterschätzen Sie nicht die feste Entschlossenheit und immense Stärke der Zentralregierung", erklärte der Sprecher der für Hongkong und Macao zuständigen Behörde, Yang Guang, bei einer Pressekonferenz in der chinesischen Hauptstadt. „Wer mit dem Feuer spielt, kommt im Feuer um".

Zudem wurde an US-Politiker appelliert, sich nicht in die Geschehnisse in der Sonderwirtschaftszone einzumischen. Die Stadt gehöre zu China, erklärte die Vertretung des Außenministeriums in Hongkong am Dienstag. Die Volksrepublik werde auf alle Maßnahmen entschlossen reagieren, die der Souveränität des Landes schadeten.

Blockade von U-Bahnstationen

Seit nunmehr zwei Monaten protestieren Zehntausende Demokratie-Aktivisten in der chinesischen Sonderverwaltungszone und liefern sich inzwischen fast täglich schwere Auseinandersetzungen mit der Polizei. Für Montag hatten die Aktivisten erstmals zu einem Generalstreik aufgerufen. Zwar beteiligten sich nicht so viele wie von ihnen erhofft. Die Stadt legten sie trotzdem lahm. Sie blockierten Straßen, U-Bahnstationen, die Eingänge von Einkaufszentren, den Flughafenexpress. Die Verkehrsbetriebe mussten den Betrieb teilweise einstellen. Pendler kamen nicht ins Stadtzentrum. Auf dem internationalen Flughafen von Hongkong mussten mehr als 200 Flüge abgesagt werden, die meisten der in Hongkong beheimateten Fluggesellschaft Cathay Pacific.

Gewerkschaften, die oppositionellen prodemokratischen Parteien und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen hatten zu dem Streik aufgerufen. Mehr als 24.000 Menschen aus 20 Sektoren wollten sich daran beteiligen. Ob es wirklich so viele waren, konnte bis zum Abend keiner realistisch einschätzen. Zahlreiche Geschäfte waren am Montag aber geschlossen.

Tränengas und Massenverhaftungen

Auch Angestellte der Hongkonger Verwaltung beteiligten sich an dem Streit und meldeten sich am Montag zu Hunderten krank. Taxi- und Busfahrer fuhren im Finanz- und Regierungsviertel demonstrativ Kolonne und blockierten auf diese Weise den Verkehr. An sieben unterschiedlichen Orten, verteilt auf das gesamte Stadtgebiet, sammelten sich die Demonstranten und errichteten Barrikaden.

Viele von ihnen waren schwarz gekleidet und hatten Atemschutzmasken auf, um von den Überwachungskameras nicht erkannt zu werden. Sie skandierten: „Lam muss weg“ und riefen „Hongkong gib Gas“. An mehreren Stellen kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei; die wiederum setzte Tränengas ein. Bis zum späten Nachmittag hatte die Polizei eigenen Angaben zufolge 82 Protestierer verhaftet – so viele wie noch nie an einem Tag.

Am Vormittag trat die bei den Demonstranten so verhasste Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam erstmals seit mehr als zwei Wochen vor die Kameras. Die jüngsten Proteste hätten die Stadt an den „Rand einer sehr gefährlichen Situation“ gerückt, sagte Lam mit versteinerter Miene und sichtlich erschöpft. Sie warnte die Demonstranten davor, die Vereinbarung mit der Volksrepublik „ein Land, zwei Systeme“ infrage zu stellen. Ihre Regierung werde entschlossen Recht und Ordnung sicherstellen. Einen Rücktritt wie von den Demonstranten gefordert, lehnte sie ab.

„Ich denke nicht, dass zu diesem Zeitpunkt ein Rücktritt von mir oder einigen meiner Kollegen zu einer besseren Lösung führen würde“, sagte Lam. Sie hatte den Protest vor zwei Monaten mit einem Gesetzentwurf ausgelöst, der vorsah, Bürger Hongkongs auf bloßem Verdacht einer Straftat an die Volksrepublik auszuliefern. Gegner dieses Vorhabens befürchteten, dass auch Dissidenten und Kritiker der chinesischen Führung in Peking betroffen gewesen wären. Hongkong, war bis 1997 eine britische Kronkolonie. Als eine chinesische Sonderverwaltungszone wurden den Hongkongern für weitere 50 Jahre wirtschaftliche, innenpolitische und soziale Souveränität zugesichert.

Anders als in der Volksrepublik ist das Recht auf freie Meinung und eine unabhängige Justiz in Hongkong weiterhin gültig. Hongkongs Regierungschefin Lam hat ihr Gesetzesvorhaben zwar bereits im Juli für „tot“ erklärt. Die Demonstranten trauen ihr aber nicht und fordern den vollkommenen Verzicht. Sie kritisieren zudem das harte Vorgehen der Hongkonger Polizei. Sie hat nach eigenen Angaben seit dem 9. Juni mehr als 300 nicht-tödliche Geschosse und etwa 1000 Tränengasgranaten abgefeuert. Es habe seitdem 420 Festnahmen gegeben.

Ruf nach Unabhängigkeit wird lauter

Inzwischen mehren sich unter den Demonstranten die Stimmen, die grundsätzlich eine Unabhängigkeit von der Volksrepublik fordern. Sollte diese Forderung überhand nehmen, hat die Führung in Peking bereits damit gedroht, einzuschreiten. Vergangene Woche hatte sich erstmals der Chef der Volksbefreiungsarmee in Hongkong, Chen Daoxiang, zu Wort gemeldet und Recht und Ordnung eingemahnt. Die kommunistische Führung in Peking wies zudem daraufhin, dass Soldaten jederzeit eingesetzt werden könnten, sollte Hongkongs Regierung um Hilfe bitten. Ein Nachrichtensprecher verlas im chinesischen Staatsfernsehen einen Kommentar mit den Worten: „Wir warnen diese Rowdies und Verrückten, die Hongkong weiter ins Chaos stürzen wollen.“ Sollten sie daran festhalten, würden sie einen hohen Preis zahlen.

AUF EINEN BLICK

Die Proteste in Hongkong entzündeten sich an einem Gesetz, das es ermöglichen soll, „flüchtige Straftäter“ nach China auszuliefern. Kritiker befürchteten, dass so das Rechtssystem der Sonderverwaltungszone ausgehöhlt werden sollte. Einen Höhepunkt erreichten die Demonstrationen am 9. Juni. Eine Million Menschen gingen damals auf die Straße. Regierungschefin Lam schob ein paar Tage später das Gesetzesvorhaben auf. Doch das reicht den Protestierenden nicht. Sie fordern eine komplette Rücknahme des Gesetzes. Am 1. Juli besetzten Aktivisten vorübergehend den Legislativrat in Hongkong. Doch auch seither kommt es immer wieder zu Protestaktionen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2019)

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