Ein schwimmendes Atomkraftwerk auf großer Fahrt

Die "Akademik Lomonossow" startet ihre Reise in Richtung Pewek.
Die "Akademik Lomonossow" startet ihre Reise in Richtung Pewek.REUTERS
  • Drucken

"Akademik Lomonossow“ heißt das AKW, das im äußersten Nordostens Russlands bald Strom produzieren soll. Umweltschützer warnen vor einem „schwimmenden Tschernobyl“.

Auf dem ersten schwimmenden Atomkraftwerk der Welt sind am Freitag die letzten Vorbereitungen für den Start getroffen worden. Im Laufe des Tages sollte die "Akademik Lomonossow" im russischen Arktis-Hafen Murmansk auf ihre 5000 Kilometer lange Reise gehen. Das Projekt wird seit Jahren von Umweltschützern bekämpft, sie warnen vor einem "Tschernobyl auf Eis" und sprechen von einer "Atom-Titanic".

Die 21.000 Tonnen schwere, 144 Meter lange und 30 Meter breite "Akademik Lomonossow" sieht trotz der Reaktoren im Inneren aus wie ein ganz normales Schiff. In Weiß, Blau und Rot - den Farben der russischen Trikolore - ist die Außenwand des Megabaus gestrichen.

Ziel der "Akademik Lomonossow" ist die kleine und äußerst abgelegene Stadt Pewek in Ostsibirien, die Route führt entlang der Nordküste Russlands. Die riesige Plattform, auf der das Atomkraftwerk steht, hat keine eigenen Motoren. Sie wird deshalb von mehreren Schiffen geschleppt. Im November soll die Anlage dort mit zwei Druckwasserreaktoren an Bord ihren Betrieb aufnehmen. Die Bauweise erinnert an die riesigen Atomeisbrecher, die im Norden Russlands seit Jahrzehnten mit Nuklearantrieb unterwegs sind.

Noch in diesem Jahr soll der vor der Küste Tschukotkas produzierte Strom die Hafenstadt Pewek sowie Gas- und Ölbohrinseln vor der Küste mit Energie versorgen. Das Ganze ist Teil eines Plans der russischen Regierung, die abgeschiedene, aber an Bodenschätzen reiche Region auf Vordermann zu bringen.

Die genaue Reisezeit hängt nicht nur vom Wetter ab, sondern auch von der Masse an Eis auf der Route. Allerdings ist die sogenannte Nordost-Passage, die den Atlantik und den Pazifik entlang der Nordküste Russlands verbindet, inzwischen einfacher zu befahren: Durch den Klimawandel ist auch dort viel Eis geschmolzen - Schiffe kommen einfacher durch.

Stadt mit 100.000 Einwohnern versorgen

Umweltschützer warnen vor allem vor den möglichen Gefahren durch Stürme. "In jedem Atomkraftwerk kann es zu Unfällen kommen, aber die 'Akademik Lomonossow' ist zudem besonders anfällig für Stürme", sagte Raschid Alimow von Greenpeace Russland. "Jeder Zwischenfall hätte verheerende Auswirkungen auf die sensible Umwelt der Arktis. Nicht zu vergessen, dass es dort keine Infrastruktur für die mögliche Reinigung und Krisenbewältigung gibt."

"Schwimmende AKW bringen viele Vorteile mit sich", sagt hingegen Wladimir Iriminku, der als Ingenieur für Umweltschutz auf der "Akademik Lomonossow" arbeitet. "Abgelegene Regionen können profitieren, ohne größere Verpflichtungen einzugehen", sagt er, während im Hintergrund im Maschinenraum leise Motoren brummen. Zu den Kosten eines derartigen Kernkraftwerks auf See gibt es keine genauen Angaben. Auf der "Akademik Lomonossow" werden rund 70 Megawatt produziert, die dann ins lokale Stromnetz eingespeist werden. Eine Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern könnte damit versorgt werden.

Das bisherige Kraftwerk der Region - Bilibino - ist auf Permafrostboden gebaut, veraltet und anfälliger für Umwelteinflüsse. Durch den Klimawandel taut auch der bisher dauerhaft feste Untergrund auf. "Das schwimmende AKW ist viel sicherer als alles Bisherige: Es kann selbst dem stärksten Tsunami standhalten und ist unsinkbar", versichert der Vizechef des AKW, Dmitri Alexejenko. Selbst auf potenzielle Terrorangriffe sei man vorbereitet. Auf See, Land und Luft werde das Militär die Anlage bewachen und schützen.

Schwimmendes AKW 'Akademik Lomonossow'
Schwimmendes AKW 'Akademik Lomonossow'APA

Russland hat derzeit mehr als 30 Atomkraftwerke in Betrieb. Moskau investiert zudem über seinen Energiekonzern Rosatom im großen Stil in neue Atomkraftwerke - besonders in ehemaligen Sowjetrepubliken, die selbst weder über Know-how noch über ausreichend Mittel verfügen. Auch in Indien, Bangladesch und in der Türkei plant Rosatom, für den weltweit rund 250.000 Menschen arbeiten, Atomkraftwerke. Immens umstritten ist das Engagement etwa in Weißrussland.

Export-Modell für Südostasien?

Die geplante Anlage in Ostrowez an der Grenze zum EU-Staat Litauen sorgt für viel Unmut in der Region. Es wird das erste nukleare Kraftwerk in der autoritär regierten Ex-Sowjetrepublik, die 1986 neben der Ukraine extrem von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl getroffen wurde. Der Schock darüber sitzt noch immer tief, die gesundheitlichen Folgen sind auch Jahrzehnte später zu spüren.

Der mobile Atomreaktor
Der mobile Atomreaktorimago images / ITAR-TASS

"Russland plant noch mehr, wir bauen aus", sagt ein Ingenieur auf dem schwimmenden AKW im weitentfernten Murmansk. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnte eine ganze Flotte an schwimmenden Atomkraftwerken gebaut werden. Es gebe bereits großes Interesse aus Südostasien, heißt es. Russische Umweltschützer glauben daher, dass die "Akademik Lomonossow" eine Art Muster-AKW für potenzielle Käufer sei und weniger die Stromversorgung für Bewohner von Pewek im Sinn habe.

Rosatom könne bei einem potenziellen Vorfall kaum rasch handeln, sagt Raschid Alimow von der Umweltorganisation Greenpeace. "Allen muss klar sein, dass die Infrastruktur in dem abgelegenen Gebiet im Notfall fehlt", sagt der Energieexperte. "Wenn etwas schief geht, kann man nicht schnell mal hinfliegen. Die Folgen für die Region in der empfindlichen Arktis werden dramatisch sein." Die Regierung solle die Milliarden eher in alternative Energien investieren anstatt mit Atomenergie zu experimentieren. Rosatom entgegnet: Es sei eines der modernsten Atomkraftwerke, von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) als sicher eingestuft. "Es gibt also keinen Grund, sich Sorgen zu machen", beschwichtigt Ingenieur Iriminku.

(APA/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.