Carrie Lam habe lediglich in einem privaten Treffen Einblicke in ihre Gefühlswelt gegeben. Sie habe nie daran gedacht, mit Peking über einen Rücktritt zu sprechen.
Hongkongs Regierung gerät durch die nicht abreißenden Massenproteste immer mehr unter Druck. Sowohl die heimische Demokratiebewegung als auch die zentrale Führung in China bringen Regierungschefin Carrie Lam vermehrt in Bedrängnis. Lam sah sich genötigt, in einer eigens einberufenen Pressekonferenz Rücktrittsabsichten zu dementieren.
Auslöser war ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, wonach die Politikerin zuletzt selbst geäußert hatte, sie würde ihr Amt aufgeben, wenn ihr dies möglich wäre. In einem im Fernsehen übertragenen Auftritt vor Journalisten zeigte sich Lam am Dienstag enttäuscht, dass frühere Bemerkungen von ihr an die Öffentlichkeit gelangt sind. Sie habe im Rahmen eines privaten Treffens lediglich Einblick in ihre Gefühlswelt gegeben. Nach Reuters-Informationen handelte es sich um eine Zusammenkunft mit führenden Wirtschaftsvertretern, von der der Nachrichtenagentur ein Tonaufnahme vorliegt.
Demzufolge sagte Lam vergangene Woche, dass ihre Möglichkeiten, die politische Krise in Hongkong zu lösen, "sehr, sehr begrenzt" seien, da sie "zwei Herren" dienen müsse. Zugleich deutete die Regierungschefin an, dass die Lage in der Sonderverwaltungszone inzwischen Sache der chinesischen Zentralregierung sei. Die Angelegenheit sei auf eine "nationale Ebene" gehoben worden, sagte sie.
Der Stein des Anstoßes wurde gestoppt
In Hongkong sind seit Mitte Juni Hunderttausende von Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die heimische Regierung und einen wachsenden Einfluss Chinas auf die ehemalige britische Kronkolonie zu protestieren. Stein des Anstoßes waren Pläne für ein umstrittenes Auslieferungsgesetz, das mittlerweile auf Eis gelegt, aber nicht zurückgenommen wurde. Laut Tonaufnahme sagte Lam, sie habe mit dem Gesetzentwurf "unverzeihliches Chaos" angerichtet und würde, wenn dies in ihrer Macht stünde, sich entschuldigen und zurücktreten.
Nun allerdings trat sie dem Eindruck von Amtsmüdigkeit energisch entgegen. "Ich habe niemals auch nur daran gedacht, mit der Zentralregierung über einen Rücktritt zu sprechen", sagte sie auf der Pressekonferenz. Sie habe immer gesagt, gerade nicht den einfachen Weg gehen und ihren Posten aufgeben zu wollen. "Ich glaube, dass mein Team unter meiner Führung Hongkong aus diesem Dilemma heraushelfen kann. Ich habe weiter das dazu nötige Vertrauen."
China gibt Rückendeckung
Ein Sprecher der kommunistischen Zentralregierung in Peking sagte, Lam habe volle Unterstützung. Die Hongkonger Regierung werde alle rechtlich zulässigen Mittel anwenden, um die gewaltsamen Proteste zu beenden. Lams Pressekonferenz wurde auch in chinesischen Staatsmedien übertragen. Der Reuters-Bericht hingegen wurde auf chinesischen Onlineplattformen offenkundig zensiert.
Studenten und Schüler setzten ihre Proteste am Dienstag fort und boykottierten den zweiten Tag in Folge den Unterricht. Am Wochenende war es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen, die zu den bisher schwersten in dem Konflikt gehörten.
1100 Festnahmen
Seit Beginn der Proteste vor mehr als drei Monaten gab es mehr als 1100 Festnahmen. Darunter ist auch der prominente Bürgerrechtler Joshua Wong, der vor fünf Jahren zu den Anführern der sogenannten "Regenschirm"-Protestbewegung gehörte.
Lam hat sich offen für einen Dialog mit der Protestbewegung gezeigt. Auf deren Forderungen ist sie bisher aber nicht eingegangen. Dazu gehören neben der Rücknahme des Auslieferungsgesetzes auch die Freilassung festgenommener Demonstranten und eine unabhängige Untersuchung des Vorgehens der Polizei. Die Führung in Peking verurteilt die Proteste und wirft ausländischen Regierungen vor, die Unruhen zu schüren.
(APA/AFP)