Nach Höchstgerichtsurteil: Johnson will Brexit trotzdem pünktlich "liefern"

Boris Johnson verfolgte in New York die Geschehnisse im Supreme Court in London.
Boris Johnson verfolgte in New York die Geschehnisse im Supreme Court in London.REUTERS
  • Drucken

Premier Boris Johnson hat das britische Parlament unrechtmäßig in eine Zwangspause geschickt, urteilt der Supreme Court. Schon morgen wird wieder getagt. Die Opposition fordert seinen Rücktritt. Johnson fordert erneut Wahlen.

Es ist ein geschichtsträchtiges Urteil: Das britische Höchstgericht urteilte über die von Premierminister Boris Johnson verhängte Zwangspause des Parlaments: Diese sei „unrechtmäßig“ gewesen und habe in „außergewöhnlichen Umständen“ stattgefunden. Die Regierung habe keine Rechtfertigung für solch eine extreme Maßnahme vorgelegt, urteilte der Supreme Court einstimmig. Es liege nun in der Hand der Parlamentspräsidenten zu entscheiden, wie es weitergehe. Unterhaus-Sprecher John Bercow zeigte sich in einer ersten Reaktion erfreut über den Richterspruch. Schon am Mittwochmittag wird das Parlament wieder tagen.

Johnson sagte in einer ersten Stellungnahme in New York, er werde das Urteil akzeptieren, auch wenn er persönlich mit der Entscheidung nicht einverstanden ist. Es werde dennoch bald eine „Queen's Speech“ geben. Das wäre allerdings ohne Parlamentspause äußerst unüblich. Denkbar scheint also eine erneute Unterbrechung der Parlaments-Session, allerdings möglicherweise nur ein paar Tage vor dem Rede-Termin. Johnson wolle jedenfalls weitermachen und daran arbeiten, einen Brexit am 31. Oktober zu „liefern“. Er denke immer noch, dass die Entscheidung zu einer Parlamentspause richtig gewesen ist und er erneuert seine Forderung nach einer Neuwahl, die ihm bisher vom Parlament verwehrt blieb: "Wir sollten eine Wahl haben", sagte Johnson am Dienstag vor Journalisten in New York.

Einstimmiges Urteil

Die elf Richter des Supreme Courts greifen mit ihrem einstimmig gefassten Urteil in den Streit zwischen Parlament und Regierung ein. „Der Effekt auf die Fundamente unserer Demokratie war extrem“, begründete die Vorsitzende des Gerichts, Lady Hale, das Urteil.

Die Niederlage vor Gericht ist ein schwerer Schlag für den Regierungschef und führte zu erneuerten Rücktrittsforderungen gegen ihn aus allen anderen Parlamentsparteien. Labour-Chef Jeremy Corbyn hoffte auf seinem Parteitag, dass Johnson nun der kürzest amtierende Regierungschef der Geschichte werde.

Johnson Kritiker haben durch das Urteil massiven Rückenwind bekommen. Immerhin hat das höchste Gericht des Landes den Regierungschef schuldig gesprochen, „unrechtmäßig“ gehandelt zu haben, indem er das Parlament in eine Zwangspause geschickt hatte während einer nationalen Krise.

Das britische Pfund steigt nach dem Urteil um 0,5 Prozent auf 1,2487 Dollar und markiert damit ein Tageshoch.

Worum geht es bei dem Urteil?

Johnson wollte - so seine Darstellung - die Sitzungsperiode des Parlaments bis Mitte Oktober unterbrechen, um sein neues Regierungsprogramm vorzustellen. Anschuldigungen, er wolle damit lediglich die Abgeordneten daran hindern, einen Brexit ohne Abkommen abzuwenden, hatte er schon zuvor als "vollkommen unwahr" bezeichnet. Der Supreme Court sah zumindest keinen Grund für die Pause des Parlaments.

Anfang September hatte bereits ein schottisches Gericht die fünfwöchige Parlamentsschließung für rechtswidrig erklärt. Johnsons Ratschlag an die Queen Elizabeth II. sei mit der Absicht erfolgt, die Parlamentarier im Brexit-Streit kaltzustellen, begründeten die Richter in Edinburgh ihre Entscheidung. Die Zwangspause sei daher "null und nichtig". 

Die Regierung legte gegen das Urteil Berufung ein. Zwei weitere Klagen gegen die Zwangspause, vor dem High Court in London und dem High Court im nordirischen Belfast, waren allerdings abgelehnt worden. Der Londoner High Court hatte die Klage mit der Begründung für unzulässig erklärt, es handle sich um eine politische, nicht um eine rechtliche Frage. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der High Court in Belfast.

EU-Kommission will sich nicht einmischen

Die EU-Kommission hat mit Zurückhaltung auf das britische Höchstgerichtsurteil reagiert. "Es ist nicht unsere Aufgabe, interne Verfassungsfragen in den Mitgliedstaaten zu kommentieren, das schließt auch Großbritannien ein", sagte eine EU-Kommissionssprecherin am Dienstag in Brüssel.

Auf Fragen, warum sich die EU-Kommission dann in die Rechtsstaatlichkeit in Polen, Ungarn und Rumänien einmische, und ob die EU-Behörde hier nicht mit zweierlei Maß messe, beharrte die Sprecherin auf der Position der EU-Kommission. Ansprechpartner für die EU-Kommission bleibe die britische Regierung.

Für Othmar Karas, Vizepräsident des Europaparlaments, zeigt das Urteil "einmal mehr, dass dem britischen Premier Johnson jede politische Redlichkeit fehlt. Er gibt vor, mit dem Brexit den demokratischen Willen der Briten umsetzen zu wollen", sagte Karas in einer ersten Reaktion, "schaltet aber das von den Briten gewählte Parlament auf illegale Art und Weise aus, weil er dort keine Mehrheit mehr hat. Jetzt sollten auch bei den treuesten Fans von Johnson die Alarmglocken läuten. Dieses Urteil stärkt den Parlamentarismus."

Auch SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder begrüßt das Urteil: "Boris Johnsons autoritärer Versuch seinen No-Deal Brexit am Parlament vorbei zu boxen ist krachend gescheitert. Die Mehrheit im britischen Unterhaus ist gegen einen Chaos-Brexit. Großbritannien braucht mitten in der größten politischen Krise des Landes seit Jahrzehnten einen breiten gesellschaftlichen Schulterschluss. Boris Johnson muss endlich Dialog- und Kompromissbereitschaft zeigen, um ein No-Deal-Desaster zu verhindern."

(APA/Ag./red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Irische Grenze
Leitartikel

Warum nur eine Grenzkontrolle, wenn man zwei haben kann?

Mit ihren jüngsten Brexit-Plänen führen die Briten ihr Versprechen von der offenen Grenze in Irland ad absurdum.
Johnson gab in seiner Rede nur wenige Details des neuen Vorschlags an die EU-Partner preis.
Brexit

Boris Johnson droht: Mein Brexit-Deal – oder gar kein Deal

Der Premierminister stellt zum Ende des Tory-Parteitags sein „letztes Angebot“ an die EU vor.
Conservative Party annual conference in Manchester
Großbritannien

Boris Johnsons „letztes Brexit-Angebot“ an die EU

Sein Vorschlag trudelte am Mittwoch in Brüssel ein. Nordirland soll quasi eine Sonderzone in der EU sein.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.