Israels Innenminister Eli Yishai hat den deutschen Autor Günter Grass zur Persona non grata erklärt und wird nun dafür in Israel gescholten. Israel habe „hysterisch“ reagiert, lassen Kritiker verlautbaren.
Jerusalem. Eben noch stand der Kritiker Israels im Zentrum der Kritik, schon drängt ihn Innenminister Eli Yishai schleunigst wieder vom Platz. Aus dem Credo gegen das Gedicht von Günter Grass, in dem dieser Israel als „Gefahr für den Weltfrieden“ bezeichnete, wurde ein Credo gegen Yishai. „Es scheint“, so schreibt Ofer Aderet in der liberalen israelischen Tageszeitung „Haaretz“, „dass es nicht mehr um eine unerwünschte Person geht, sondern um eine unerwünschte Politik.“ Der Staat Israel habe „hysterisch“ reagiert, als der Innenminister den deutschen Dichter Günter Grass zur Persona non grata machte.
Yishais Entscheidung, Grass die Einreise nach Israel zu verweigern, beruhte auf einem politischen Kalkül, das nicht aufging. Yishai versuchte, sich den breiten Anti-Grass-Konsens, dem sogar linke Stimmen wie die Historiker Mosche Zimmermann und Tom Segev angehörten, zunutze zu machen und erreichte exakt das Gegenteil. Sollte Grass weiterhin „seine Lügen verbreiten wollen“, riet ihm Yishai, solle er das „vom Iran aus tun, wo er sicher auf ein wohlwollendes Publikum treffen wird“. Bei diesem Vergleich entginge dem Innenminister „die Ironie seiner eigenen Worte“, schreibt Aderet in „Haaretz“. Denn gerade eine Entscheidung wie das Einreiseverbot als Strafmaßnahme für ein Gedicht „charakterisiert die dunklen Regime wie das im Iran und in Nordkorea“.
Protestschreiben an Premier
Ähnlich wie Aderet unterstellt Eyal Megged von der auflagenstärksten Tageszeitung „Yediot Achronot“, dass die wenigsten der aufgebrachten Kritiker in Israel, allen voran der Innenminister, bis vor einer Woche wüssten, wer Grass überhaupt sei, geschweige denn je einen Roman von ihm gelesen hätten. Es sei diese „Ignoranz“, die Yishai dazu geführt habe, sich die Freiheit zu seiner Entscheidung zu nehmen, dem Dichter die Einreise fortan zu untersagen. „Nur ein schwaches Land, das sich nicht sicher ist, recht zu handeln, und das die Kritik fürchtet, verliert alle Verhältnismäßigkeit und straft seine Kritiker ab.“
In einem Protestschreiben fordert Megged Regierungschef Benjamin Netanjahu dazu auf, Yishai „für diesen idiotischen Schritt zu verwarnen“, ansonsten sei es „ehrenvoll“, in diesem Staat eine Persona non grata zu sein.
Der Journalist Joav Sapir, der sporadisch aus Berlin für die Tageszeitung „Maariw“ berichtet, warnt auf seinem Blog vor Missverständnissen: „Die Sympathie für Israel ist eine Sache. Das deutsche Volk denkt anders.“ Grass sei mit seiner kritischen Haltung gegenüber Israel nicht allein. Die offizielle Position der Bundesrepublik und die von Kanzlerin Angela Merkel formulierte „Solidarität“ mit Israel stoße gerade bei Jugendlichen auf wachsende Ablehnung. Viele „empfinden sie als eine Art Kapitulation vor den ,Juden‘“. Das Gefühl für die historische Verantwortung beginne zu schwinden, schreibt Sapir. Langfristig werde Israel in Deutschland nicht mehr den großen Freund sehen können.
„Politiker an den Pranger“
Solidarität für Grass kam am Wochenende von der Deutschen Friedensbewegung, die ihre traditionellen „Ostermärsche“ abhielt: Nicht Grass gehöre an den Pranger gestellt, sondern die Politiker, die im Nahen Osten an der Eskalationsschraube drehten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2012)