Weniger Verkehrstote durch Krise

(c) EPA (Johannes Eisele)
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Die Krisenländer geben weniger für ihre Gesundheitssysteme aus. Direkte Auswirkungen auf die Gesundheit sind vorerst nicht feststellbar. Gestiegen ist die Selbstmordrate.

Brüssel/Paris. Hat sich die Schuldenkrise in der Eurozone auf die Gesundheit der von ihr am stärksten betroffenen Südeuropäer ausgewirkt? Je länger die Rezession in den Krisenländern dauert, desto heftiger wird die Diskussion darüber geführt. Während die Opponenten der ausgabenseitigen Sanierungsmaßnahmen die eingangs gestellte Frage bejahen, zweifeln Befürworter der Sparanstrengungen diesen Zusammenhang an. Und das aktuelle Zahlenmaterial der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bringt nur vergleichsweise wenig Licht in diese Materie.

Am gestrigen Donnerstag ließ die OECD ihr statistisches Flaggschiff „Health at a Glance 2013“ vom Stapel. Fazit: Der jährliche Vergleich der gesundheitsrelevanten Daten aller OECD-Mitglieder eignet sich gut dazu, die finanziellen Auswirkungen der Eurokrise auf die Gesundheitssysteme zu erfassen – was die Konsequenzen für die Gesundheit der Bevölkerungen anbelangt, sind die Zahlen allerdings weniger aufschlussreich. „Zum jetzigen Zeitpunkt sind weitreichende gesundheitliche Auswirkungen der Krise nicht evident“, heißt es in dem Bericht.

Hinzu kommen Probleme bei der Datenerfassung: Vor allem in Griechenland, dem von der Krise am stärksten betroffenen Euromitglied, sind die Statistiken zu löchrig, um zu Ergebnissen zu kommen – etwa bei der Anzahl der durchgeführten Computertomografien, bei denen die OECD seit drei Jahren mit denselben Zahlen operieren muss. Woraus sich der Schluss ziehen lässt, dass nicht nur das griechische Finanzministerium Probleme mit der statistischen Datenerfassung hatte – bzw. immer noch hat.

Vergleichsweise einfach lässt sich dagegen der Einfluss der Schuldenkrise auf die Gesundheitsausgaben feststellen: Im Zeitraum von 2009 bis 2011 wurden die stärksten Rückgänge in Griechenland, Portugal und Irland verzeichnet (siehe Grafik) – jenen Ländern also, die unter den Rettungsschirm der internationalen Geldgeber schlüpfen mussten. Einen ähnlich dramatischen Einbruch gab es bei den Ausgaben für Medikamente.

Längere OP-Wartezeiten

Interessanterweise scheinen diese Rückgänge keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Gesundheitslage gehabt zu haben: So wurden etwa im selben Zeitraum Fortschritte bei der Bekämpfung von Herzgefäßerkrankungen erzielt, und auch bei krebsbedingten Sterblichkeitsraten wurde kein Anstieg festgestellt. Allerdings haben sich in Portugal, Spanien und Irland die Wartezeiten für manche chirurgischen Eingriffe (etwa Hüftprothesen) verlängert.

Zumindest, was die Häufigkeit von Selbstmorden anbelangt, lassen die OECD-Daten eine relativ eindeutige Schlussfolgerung zu: Zwar wählten von 2009 bis 2011 mehr Menschen den Freitod, doch waren die Krisenländer nicht stärker betroffen als der Rest: So ist die Zahl der Selbstmorde in Deutschland und Frankreich stärker gestiegen als in Griechenland und Spanien und ähnlich stark wie in Italien und Portugal. Ein Ausreißer in dieser Hinsicht war Irland, wo die Selbstmordrate gesunken ist. Die OECD-Experten gehen übrigens von einer Stabilisierung der Selbstmordraten aus – und zwar, weil die Schockwirkung der Krise nachlässt.

Apropos Krise: In einem Bereich dürfte sie sich positiv auf die Gesundheit ausgewirkt haben. Anders als in den großen EU-Mitgliedsländern Deutschland und Frankreich ist die Zahl der tödlichen Unfälle im Straßenverkehr in Südeuropa zurückgegangen. Die einzige plausible Erklärung dafür ist das rezessionsbedingte Minus beim Verkehrsaufkommen. Wer weniger Geld zur Verfügung hat, fährt weniger mit dem Auto – und läuft folglich weniger Gefahr, bei einem Unfall umzukommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2013)

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