Osteuropäer kommen im Europaparlament zu kurz

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Gemäß einer Studie der London School of Economics sind Europaabgeordnete aus den zentral- und osteuropäischen Mitgliedstaaten bei der Postenvergabe der parlamentarischen Berichterstatter signifikant unterrepräsentiert.

Brüssel/Wien. Einflussreich, aber der Öffentlichkeit kaum bekannt – Berichterstatter im Europaparlament üben auf die Gesetzgebung der EU einen nicht zu unterschätzenden Einfluss aus. Der als Rapporteur fungierende Europaabgeordnete ist in dem Hohen Haus der EU damit betraut, einen Gesetzesvorschlag der EU-Kommission auf Herz und Nieren zu prüfen, ihn gegebenenfalls zu adaptieren, über die konsolidierte Fassung mit Kommission und Rat zu verhandeln und anschließend einen Entwurf für die Abstimmung im Plenum auszuarbeiten. Berichterstatter (die üblicherweise von sogenannten Schatten-Berichterstattern aus anderen politischen Fraktionen des Parlaments flankiert werden) sind direkt in den primären Gesetzgebungsprozess der Union eingebunden – und somit beliebter Ansprechpartner von Lobbyisten aller Couleur.

Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass die begehrten Posten der Berichterstatter proportional auf Vertreter aller 28 Mitgliedstaaten der Union verteilt werden. Dem ist allerdings nicht so, wie aus einer jüngst veröffentlichten Studie der London School of Economics (LSE) hervorgeht. Demnach sind Abgeordnete aus den neuen zentral- und osteuropäischen Mitgliedstaaten unter den Rapporteuren und Schatten-Rapporteuren signifikant unterrepräsentiert.

Die Autoren (Lukas Obholzer vom LSE, Steffen Hurka von der Universität München und Michael Kaeding von der Uni Duisburg-Essen) untersuchten für ihre Studie die Legislaturperiode 2009–2014 – nachdem die EU-Osterweiterung zwischen 2004 und 2007 stattgefunden hatte, war davon auszugehen, dass die Neuankömmlinge in der Legislaturperiode 2004–2009 einen Lernprozess absolvieren mussten und folglich nicht hundertprozentig involviert sein konnten. Bis 2009 sollte dieser Wissensrückstand allerdings weitgehend aufgeholt sein – so weit die Ausgangshypothese.

EU-15 vor EU-13

Zur Prüfung der These untersuchten die Forscher 2161 Berichte und 6589 Schattenberichte auf die Herkunft ihrer Verfasser. Fazit: Während die politischen Machtverhältnisse im Plenum mit der Parteizugehörigkeit der Autoren korrelieren, gibt es hinsichtlich der Staatsbürgerschaft einen deutlichen Vorteil für die „alte“ EU-15 gegenüber der „neuen“ EU-13.

Die von Obholzer, Hurka und Kaeding gesammelten Daten legen den Schluss nahe, dass diese Diskrepanz nichts mit einer mangelnden europapolitischen Erfahrung zu tun haben kann – die Studienautoren haben nämlich Neulinge miteinander verglichen, also Abgeordnete, die 2009–2014 ihre erste Legislaturperiode absolviert haben und mindestens einen Bericht ausarbeiten durften. Während 71 Prozent der Newcomer aus der EU-15 mindestens einmal in die Rolle des Rapporteurs schlüpften, belief sich dieser Prozentsatz für neue Europaabgeordnete aus den EU-13 auf 49 Prozent. Interessanterweise konnten die Studienautoren keine Differenz hinsichtlich der Geschlechter finden: Weibliche und männliche EU-Abgeordnete haben demnach gleiche Chancen, Rapporteur zu werden.

Die Forscher haben drei mögliche Erklärungen für dieses Phänomen: Erstens könnten zentral- und osteuropäische Abgeordnete weniger Interesse an der Aufgabe haben als ihre Kollegen aus der „alten“ EU oder – Erklärungsansatz Nummer zwei – die Interessen ihrer Wähler auf eine andere Art und Weise vertreten, als dies in Süd- und Westeuropa üblich ist. Die dritte mögliche Erklärung: Bei der Verteilung der Portfolios werden Abgeordnete aus der „alten“ EU systematisch bevorzugt und Neuankömmlinge ebenso systematisch benachteiligt.

Für die Autoren steht jedenfalls fest: „Europaabgeordnete aus den neuen Mitgliedstaaten haben dadurch einen geringeren Einfluss auf die Gesetzgebung der EU.“ Auf Dauer könnte dies die Legitimation der EU unterminieren. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2015)

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