Flüchtlingskrise

Heer am Brenner: Diplomatische Krise zwischen Wien und Rom

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Italien reagiert verärgert auf Doskozils Vorbereitungen für Assistenzeinsätze an der Grenze. Brüssel plant „Verhaltenskodex“ für NGOs im Mittelmeer.

Rom/Wien. Italien und Österreich haben eine neue Brennerkrise: Nachdem Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil erklärt hat, wegen der Flüchtlingskrise im Mittelmeer einen möglichen Assistenzeinsatz des Heeres an der Grenze - sprich die Verlegung von Soldaten sowie gepanzerten Truppentransportern für Straßensperren - intern vorzubereiten, herrscht dicke Luft zwischen den Nachbarn. „Österreich lässt Panzerfahrzeuge am Brenner auffahren“, titelten gestern Online-Editionen großer italienischer Medien. Sie wiesen in ihren Artikeln auf „die Politik der totalen Abschottung“ Österreichs hin. Am Nachmittag wurde Österreichs Botschafter ins Außenministerium zitiert.

Innenminister Marco Minniti sagte, er sei über die Aussagen des österreichischen Ministers „zutiefst überrascht“. Österreichs Initiative sei „ungerechtfertigt und präzedenzlos“. Italiens Außenminister, Angelino Alfano, nannte Österreichs Vorgehen ungerechtfertigt, denn es gebe keine Probleme am Brenner. Eine Abgeordnete der regierenden Linksdemokraten forderte EU-Sanktionen gegen Österreich wegen „Verletzung europäischer Solidaritätsregeln“.

Die rechte Opposition – Lega Nord und Berlusconis Partei Forza Italia – zeigten hingegen Verständnis. Diese Parteien befürchten aber auch, dass sich der Brenner bei einer Schließung zum „Lampedusa des Nordens“ verwandeln könnte: So drohe Südtirol zum Flüchtlingscamp zu werden.

„Vorbereiten ist verantwortungsvoll“

Dementsprechend nervös ist man in Bozen. Landeshauptmann Arno Kompatscher sagte, der Grund für die Vorbereitung der Kontrollen sei das „Wahlkampf-Klima in Österreich“. Das sei eine „interne Botschaft an die Wählerschaft“. Tatsächlich ließ ÖVP-Chef und Außenminister Sebastian Kurz gestern bei einem Aufenthalt in Innsbruck wissen: „Es ist ehrlich, jetzt Italien und der EU ganz klar zu sagen: Wir bereiten uns vor und werden unsere Brenner-Grenze schützen, wenn es notwendig ist.“ Vorbereitungen seien doch legitim: „Ich halte es für höchst verantwortungsvoll, wenn man sich vorbereitet.“

Der Beschluss, was es für die Kontrollen brauche, obliege Verteidigungs- und Innenminister, meinte Kurz zu den von Verteidigungsminister Doskozil zur Verfügung gestellten 750 Soldaten und vier Pandur-Radpanzern. Man brauche gewisses Personal dafür. Der Kontakt zu Italien bleibe gut.
Laut neuesten Zahlen sind seit Jänner bereits 100.000 Illegale übers Mittelmeer nach Europa gelangt, 85 Prozent davon sind an Italiens Küsten gestrandet – so viele wie nie zuvor. Trotzdem scheint bisher der in Österreich befürchtete „Ansturm“ am Brenner ausgeblieben zu sein: Laut Tiroler Polizei bewegen sich die Aufgriffzahlen im langfristigen Trend, „also zwischen 15 bis 25 illegale Migranten pro Tag“, sagte der Tiroler Polizeichef, Helmut Tomac. „Derzeit gibt es auf der Brennerroute keine Auffälligkeiten“. Die Vorbereitungen des Verteidigungsministeriums seien „aufgrund der Entwicklung auf der Brennerroute in keiner Weise nachvollziehbar“.

Bereits 2016 hatte die angedrohte Brennerschließung zu Ärger in Italien und Deutschland geführt. Auch damals führte man Österreichs Grenzpolitik auf den Wahlkampf (Bundespräsidentenwahl) zurück. Wien argumentierte, dass Italien Einwanderungswillige nicht registriere und gen Norden drängen lasse. Inzwischen werden laut EU-Kommission die Leute großteils registriert. Österreich müsste übrigens für Kontrollen am Brenner die Zustimmung aus Brüssel einholen, sagte Vizekommissionschef Frans Timmermans.

Zentrum für Seerettung in Libyen

Die EU-Kommission stellte Maßnahmen vor, die zur Eindämmung des Ansturms von Wirtschaftsmigranten und Kriegsfliehenden beitragen soll. So soll in Libyen ein Zentrum für Seerettung und Koordination entstehen; dort sollten aber keine Europäer stationiert werden, bestätigte die Kommission der „Presse“. Libyens Südgrenze soll in Zusammenarbeit mit den wichtigsten Staaten des Sahel (Mali, Niger, Tschad, Mauretanien, Burkina Faso) gegen Menschenströme abgedichtet werden.

Italien wird erlaubt, Verhaltensregeln für NGOs zu verfassen, die Migranten im Meer auflesen und in italienischen Häfen abliefern. Allerdings müsse die Regierung in Rom unter anderem alle Eritreer registrieren, die derzeit in Italien sind. Italien bekommt weitere 35 Millionen Euro aus dem EU-Budget zur Verfügung gestellt, um mit dem Migrantenansturm zurande zu kommen. Von einer Erlaubnis, Häfen für Schiffe der Helfer zu sperren, ist nicht die Rede.

(basta, go, APA)

Auf einen Blick

Österreich verstärkt angesichts steigender Einwanderungszahlen in Italien wieder die Drohungen bezüglich einer Schließung der Brenner-Grenze.

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) kündigte gegenüber mehreren Medien an, 750 Soldaten sowie vier Pandur-Panzer an der Grenze in Bereitschaft zu versetzen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) wiederum stellte in Richtung EU klar, dass man im Bedarfsfall den Brenner „schützen“ werde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2017)

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