Bulgarien, der gekränkte Musterschüler

Jean-Claude Juncker und Bojko Borissow.
Jean-Claude Juncker und Bojko Borissow. (c) APA/AFP/DIMITAR DILKOFF (DIMITAR DILKOFF)
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Ratsvorsitz. Sofia will den Euro einführen und dem Schengenraum beitreten. Die sechsmonatige Führung der Geschäfte der EU soll Bulgariens Platz im Kern Europas sichern. Korruption und politische Instabilität überschatten diese Ambition.

Sofia. Zwei Eindrücke gewinnt, wer dieser Tage mit Mitgliedern der bulgarischen Regierung und Vertretern der Zivilgesellschaft spricht: Erstens herrscht zu Beginn der sechsmonatigen EU-Präsidentschaft des ärmsten Mitgliedstaates große Besorgnis, den Zug in Richtung Kerneuropa zu verpassen und nicht nur geografisch, sondern auch politisch am Rande Europas isoliert zu werden. Zweitens kam in den Gesprächen, welche eine Gruppe von Europa-Korrespondenten in Sofia führte, die Kränkung zutage, von den Westeuropäern bloß als Bürger zweiter Klasse betrachtet zu werden.

„Wir sehen uns klar im Kern und nicht an der Peripherie Europas“, sagte beispielsweise Außenministerin Ekaterina Sacharieva. „Aber seien wir ehrlich: Es gibt schon seit einigen Jahren ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten.“

Schengenkriterien 2011 erfüllt

Und so versichern die Regierungsmitglieder, Bulgarien tue alles, um zur ersten Klasse aufzuschließen. „Während der Flüchtlingskrise haben wir gezeigt, dass wir bereit sind, unsere Grenzen zu verteidigen, vielleicht sogar besser als manche Schengenmitglieder“, sagte die Außenministerin. Diese versteckte Kritik an Griechenland hört man wortgleich von fast jedem Mitglied der Regierung unter Ministerpräsident Bojko Borissow. Stets wird auch darauf verwiesen, dass Bulgarien seit 2011 die formalen Aufnahmekriterien erfüllt. Zumindest für den Luft- und Seeverkehr hofft Sofia, Ende dieses Jahres dem Schengenraum beitreten zu können. Beobachter meinen, dass sich Borissow mit seiner konsequenten Grenzschutzpolitik politisches Kapital vor allem bei seinen Kollegen von der Europäischen Volkspartei erarbeitet habe.

Ebenfalls 2018, schon zur Jahresmitte, möchte Sofia den Antrag zur Aufnahme in die zweite Stufe des Europäischen Wechselkursmechanismus stellen, sprich das Wartezimmer für die Eurozone betreten. Das ist auch Kommissionschef Jean-Claude Juncker ein Anliegen. „Die Staatsverschuldung ist mit unter 30 Prozent eine der niedrigsten, ,Haushaltsdefizit‘ ist ein unbekannter Begriff.“ Diesem Begehr steht derzeit noch der Befund der Europäischen Zentralbank und der Kommission vom vorigen Jahr entgegen, demzufolge „die Volkswirtschaft nach wie vor durch verbleibende Fragilität im Finanzsektor und eine hohe Unternehmensverschuldung gekennzeichnet ist“.

Korruptionsschlusslicht

Eine Hürde ist zudem die starke Korruption. In der aktuellen Liste von Transparency International liegt das Land auf Rang 75 gleichauf mit der Türkei: Kein Unionsmitglied wird von seinen Bürgern als korrupter empfunden. „Umfragen zeigen, dass das Vertrauen der Bulgaren in die EU-Institutionen größer ist als in jene des eigenen Staates, vor allem in die Gerichtsbarkeit“, sagte der Politologe Antoniy Galatsov, der Transparency International berät.

Zudem ist Borissows Koalition mit einem Bündnis dreier rechtsextremer Parteien sehr fragil: Nach der Präsidentschaft könnte sie an deren Widersprüchen zerbrechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2018)

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