EuGH schiebt innereuropäischen Schiedsgerichten den Riegel vor

Der EuGH in Luxemburg.
Der EuGH in Luxemburg.(c) Benedikt Kommenda
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Die Luxemburger Höchstrichter entscheiden, dass Investorenschutz am Binnenmarkt der EU nichts zu suchen hat. In Österreich und Deutschland sieht man die Sache anders.

Luxemburg. Sie sind der Teil eines Handelsabkommens, an dem sich in letzter Zeit die öffentliche Kritik immer wieder entzündet hat – die Rede ist von sogenannten Investorenschutzklauseln. Sie sollen Unternehmen, die im Ausland investieren, vor staatlicher Willkür schützen und sehen vor, dass im Streitfall ein unabhängiges Schiedsgericht darüber befindet, ob ein Staat die Rechte eines Unternehmens durch unverhältnismäßige Gesetzesmaßnahmen verletzt hat.

Das Beharren auf dem Investorenschutz einer der Hauptgründe dafür, dass die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP mit den USA versandet sind. Und auch der Pakt EU-Kanada (Ceta) wäre fast an den Klauseln gescheitert. Was allerdings die allerwenigsten wissen: Auch innerhalb der EU gibt es Investorenschutzbestimmungen – und zwar zwischen „alten“ EU-Mitgliedern im Westen und den „neuen“ Mitgliedsstaaten im Osten der Union. Sie wurden in den 1990er Jahren fixiert, als die EU-Osterweiterung noch in weiter Ferne war.

Die Tage dieser innereuropäischen Schutzklauseln sind allerdings gezählt: Am gestrigen Dienstag hat der Europäische Gerichtshof befunden, dass Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedern nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind. In der Causa (Rechtssache C-284/16) geht es um ein Abkommen, das im Jahr 1993 zwischen der Slowakei und den Niederlanden geschlossen wurde.

Elf Jahre später trat die Slowakei der EU bei – und ebenfalls 2004 eröffnete Bratislava den slowakischen Krankenversicherungsmarkt für Privatinvestoren. Ein niederländischer Versicherungskonzern nutzte die Gelegenheit und gründete eine Tochtergesellschaft in der Slowakei, um dort private Krankenversicherungen zu verkaufen. Doch bereits zwei Jahre später machte die slowakische Regierung die Liberalisierung teilweise rückgängig – der gesetzgeberische Eingriff war insofern folgenschwer, als die Ausschüttung der Gewinne als dem Geschäft mit Krankenversicherungen untersagt wurde.

Als Konsequenz aktivierten die Niederländer die Investorenschutzklausel – und der Fall landete vor einem Schiedsgericht in Deutschland, das die Slowakei im Jahr 2012 für schuldig erklärte und zur Zahlung eines Schadensersatzes von 22,1 Mio. Euro an das niederländische Unternehmen verdonnerte. Bratislava klagte daraufhin bei deutschen Gerichten auf die Aufhebung des Schiedsspruchs, die den Fall an das Luxemburger Höchstgericht weiterleiteten.

Die EuGH-Richter sind zur Einsicht gekommen, dass Schiedsgerichte am Binnenmarkt nichts zu suchen haben, weil sie die „Autonomie des Unionsrechts“ verletzen. Dessen Merkmale – unter anderem sein Vorrang vor dem Recht der Mitgliedsstaaten und seine Autonomie gegenüber dem Völkerrecht – machen den EU-Binnenmarkt demnach zu einem einzigartigen Rechtskonstrukt. Nach Ansicht der Richter könne ein innereuropäisches Schiedsgericht nicht als Gericht eines Mitgliedsstaates gemäß EU-Recht eingestuft werden. Seine Urteile passen somit nicht in das fein austarierte Rechtsgefüge der Union. Folglich sei es nicht gesichert, dass „ein solches Gericht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten.

Die Causa offenbarte einen Bruch, der zwischen nord- und westeuropäischen Mitgliedstaaten auf der einen und dem Rest der Unionsmitglieder sowie der EU-Kommission auf der anderen Seite verläuft. Während die Brüsseler Behörde gemeinsam mit Tschechien, Estland, Griechenland, Spanien, Italien, Zypern, Lettland, Polen und Rumänien Erklärungen zur Unterstützung des slowakischen Vorgehens eingereicht hatten, stellten sich Deutschland, Frankreich, Österreich und Finnland auf die Seite der Niederlande. Derzeit sind noch knapp 200 bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedern gültig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2018)

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