Großbritannien-Irland: Die Grenze, die keiner will

Der irische Austernfischer William Lynch auf seiner Farm in Nordirland: „Eine harte Grenze wäre unmöglich für mein Geschäft.“
Der irische Austernfischer William Lynch auf seiner Farm in Nordirland: „Eine harte Grenze wäre unmöglich für mein Geschäft.“APA/AFP/PAUL FAITH
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Dublin will „engstmögliche Beziehungen“ zu London. Der irische Friedensprozess dürfe keinesfalls gefährdet werden.

Wien. Was, wenn Deutschland die EU in einem Jahr verließe und auch kein Interesse mehr daran hätte, am gemeinsamen Binnenmarkt teilzunehmen? Österreich würde nicht nur seinen wichtigsten Handelspartner verlieren, auch ein Grenzzaun zu Bayern wäre wohl plötzlich Realität. „Ich bin mir sicher, Sie verstehen die irische Situation als kleines Land mit großem Nachbarn sehr gut“, sagte Helen McEntee am gestrigen Freitag bei einer Diskussion des Europa Club Wien. Die Ministerin für Europäische Angelegenheiten war aus Dublin angereist, um ihren Amtskollegen Gernot Blümel (ÖVP) zu treffen und an den Feierlichkeiten rund um den St. Patrick's Day teilzunehmen.

Tatsächlich ist Irlands Lage nach der Entscheidung Großbritanniens, Ende März 2019 aus der Union auszutreten, eine unvergleichbar schwierige. Immerhin gilt die Grenzfrage zwischen dem südlichen Teil der Insel und dem britischen Norden als „Schlüsselmoment“ in den Brexit-Verhandlungen, wie EU-Chefverhandler Michel Barnier jüngst formuliert hat. Zwar haben sich Brüssel und London schon im vergangenen Dezember darüber geeinigt, dass es auch künftig keine „harte Grenze“ zwischen Irland und Nordirland geben soll. An der Umsetzung dieses Vorhabens aber scheiden sich die Geister. Da Großbritannien aus der Zollunion ausscheiden will, gibt es laut EU-Verhandlern drei Optionen: Die erste ist ein „gemeinsamer regulatorischer Raum“ mit Nordirland, der „eine Zone ohne interne Grenzen schaffen“ würde, wie es in dem Entwurf von Ende Februar heißt.

„Bedroht unsere Integrität“

Nordirland müsste dann alle Regeln der EU zum Warenverkehr beibehalten, ohne im Binnenmarkt zu bleiben. Für London eine undenkbare Variante: „Das untergräbt den britischen Markt und bedroht die verfassungsmäßige Integrität des Königreichs“, ließ die sichtlich erboste Premierministerin Theresa May die Verantwortlichen in Brüssel wissen.

Eine zweite Möglichkeit wäre, das Problem auf die lange Bank zu schieben und in einer Vereinbarung über die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU zu klären – die allerdings erst in der Übergangsphase nach dem Austritt abgeschlossen werden kann. Die dritte Option freilich ist, dass London selbst Vorschläge unterbreitet. Auch McEntee sieht nun die Briten am Zug, wie sie am Freitag betont hat. Die Grenzfrage sei ein „sehr kritischer Punkt in den Verhandlungen“. Besonders wichtig sei, meint die Ministerin, dass der Friedensprozess in der ehemaligen Bürgerkriegsregion nicht gefährdet werde. Seit dem Karfreitagsabkommen, das gerade einmal 20 Jahre alt ist, gibt es keine Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland. Für die betroffenen Gemeinschaften wäre eine neue Grenze „undenkbar und unvorstellbar“, so die Irin. „Es liegt in unserem Interesse, die engstmögliche Beziehung zu Großbritannien zu haben.“ Bedauerlich sei daher, dass London aus der Zollunion aussteigen wolle.

Nichtsdestoweniger müsse Europa gerade jetzt nach vorn blicken und die Union auch den Bürgern näherbringen. In Irland haben einer aktuellen Umfrage zufolge 86 Prozent der Menschen eine positive Einstellung zur EU – nicht vergleichbar also mit dem Nachbarland Großbritannien, wo die Kritik an dem gemeinsamen Projekt Europa stets groß war.

Mehr Bürgerbeteiligung

Im November vergangenen Jahres hat McEntee einen Bürgerdialog gestartet, der wichtige Fragen wie Sicherheit, Nachhaltigkeit, Globalisierung und soziale Verantwortung zum Inhalt hat – und klären soll, was die EU dazu konkret beitragen kann. Die Antworten und Ideen der Iren, betont die Ministerin, sollen schon in naher Zukunft stark in die Europapolitik ihres Landes einfließen.

AUF EINEN BLICK

Die irische Europaministerin, Helen McEntee, hat am Freitag in Wien die Wichtigkeit einer Lösung in der Frage der Grenze zu Nordirland nach dem Brexit und die Bedeutung des Karfreitagsfriedensabkommens betont. Aus irischer Sicht wäre ein Verbleib Großbritanniens im Binnenmarkt und in der Zollunion der beste Weg, doch diese Variante hat die britische Premierministerin, Theresa May, ausgeschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2018)

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