Italien: Hohe Erwartungen an EU

(c) REUTERS (Max Rossi)
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84 Prozent der Bevölkerung fordern von Europa mehr Engagement bei der Bewältigung der Migrationskrise.

Wien. Kritik an der EU, Vorwürfe in Richtung Privatwirtschaft: Die Reaktion der populistischen Links-rechts-Regierung in Italien auf den verheerenden Brückeneinsturz in Genua folgt einem bekannten Skript – dem zufolge abgehobene „Eliten“ für das Leid der Bevölkerung verantwortlich seien.

Die vehemente Reaktion der EU-Kommission auf die Anschuldigungen von Innenminister Matteo Salvini, wonach das Brüsseler Spardiktat für die Katastrophe mitverantwortlich sei, ändert nichts an der Tatsache, dass derartige Angriffe in Italien auf fruchtbaren Boden fallen. Die Bevölkerung ist nämlich zutiefst skeptisch, was die EU im Allgemeinen und die Wirkungsmacht traditioneller Politik im Speziellen anbelangt – diesen Schluss zieht jedenfalls ein Forscherteam in einer vor wenigen Tagen präsentierten Studie.

Im Rahmen des Forschungsprojekts „More in Common“ wurden insgesamt 2000 Italiener zu ihrer gesellschaftspolitischen Haltung befragt. Im Fokus der Untersuchung stand die Einwanderungspolitik, doch abgefragt wurde auch die Position zu Europa. Demnach erwarten sich 84 Prozent der Befragten von der EU mehr Unterstützung bei der Bewältigung der Migrationskrise. Besonders hoch war der Anteil der Befürworter einer EU-Hilfe unter urbanen, gut gebildeten und kosmopolitisch eingestellten Italienern sowie in jenem Teil der Bevölkerung der unter der wirtschaftlichen Stagnation der vergangenen Jahre besonders stark gelitten hat (siehe Grafik). Für den Abschied von der Union und der Eurozone plädierten hingegen vor allem militante Nationalisten. Insgesamt lag der Anteil der Befürworter eines Bruchs mit Europa bei 25 Prozent.

Führersehnsucht

Der konfrontative Politikstil des Rechtspopulisten Salvini trifft jedenfalls den Nerv der Zeit. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, Italien brauche einen „starken Führer“, der bereit sei, die Regeln zu brechen. Besonders hoch war der Anteil der Befürworter – wenig überraschend – bei den Nationalisten und den wirtschaftlich benachteiligten Befragten.

Doch selbst 37 Prozent der kosmopolitischen Modernisierungsgewinner artikulierten bei der Befragung eine gewisse Führersehnsucht. Den niedrigsten Zuspruch mit 29 Prozent hatte der „starke Führer“ übrigens bei jenen Italienern, die sich zur Mittelschicht zählten und wenig Interesse an Politik artikulierten. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2018)

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