Außenministerin Kneissl lässt die Abstimmung zur Einleitung des Artikel-7-Verfahrens im EU-Parlament prüfen. Die Rechtslage ist widersprüchlich.
Wien/Straßburg. Die Abstimmung im Europaparlament zur Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens (Artikel-7-Verfahren) gegen Ungarn hat ein rechtliches Nachspiel. Nach Protesten aus Budapest und einem Vorstoß von FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, ersuchte Außenministerin Karin Kneissl den rechtlichen Dienst des Rats der EU um eine Überprüfung. Die ungarische Regierung und FPÖ-Vertreter sind nämlich der Ansicht, dass die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht wurde. Der juristische Dienst des Europaparlaments hält die Abstimmung hingegen für korrekt.
Worum geht es: Vergangene Woche hatten 448 Europaabgeordnete für die Einleitung des Verfahrens gegen Ungarn wegen anhaltender Verletzung der Grundwerte (Rechtsstaatlichkeit und Demokratie) gestimmt und 197 dagegen. 48 Mandatare enthielten sich der Stimme. Wäre die Zweidrittelmehrheit aus allen abgegebenen 693 Stimmen errechnet worden, hätten die 448 Stimmen für die Einleitung des Verfahrens nicht ausgereicht. Das wären lediglich 30,5 Prozent und keine 33,3 Prozent. Allerdings hatte der juristische Dienst des Europaparlaments bereits vor der Abstimmung an die Geschäftsordnung des Parlaments erinnert. Und in dieser (Art. 178/3) ist festgelegt: „Für die Annahme oder Ablehnung eines Textes werden nur die abgegebenen Ja- und Nein-Stimmen bei der Berechnung des Abstimmungsergebnisses berücksichtigt, ausgenommen in den Fällen, für die in den Verträgen eine spezifische Mehrheit vorgesehen ist.“