Tschechien: Dunkle Familiendeals im Hause Babiš?

Massenprotest gegen den Regierungschef in Prag: Zehntausende Demonstranten forderten den Rücktritt von Andrej Babiš.
Massenprotest gegen den Regierungschef in Prag: Zehntausende Demonstranten forderten den Rücktritt von Andrej Babiš.(c) APA/AFP/MICHAL CIZEK (MICHAL CIZEK)
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Der Regierungschef soll seinen Sohn auf die Krim „entführt“ haben, um eine Betrugsaffäre zu vertuschen: Opposition stellt Misstrauensantrag, Zehntausende demonstrieren in Prag.

Prag. Der tschechische Premier Andrej Babiš suchte Samstagnacht den Schutz der Dunkelheit, um Blumen an der Gedenktafel für den Beginn der Samtrevolution vor 29 Jahren niederzulegen. Später landete der Strauß in einem Papierkorb, ebenso wie die Blumen von Präsident Miloš Zeman.
Selten war die Stimmung an der Moldau so aufgeheizt wie derzeit. Der diesjährige 17. November wurde zum Protesttag – vor allem gegen den Regierungschef. Neue Medienenthüllungen stellen den Fall des mutmaßlichen Subventionsbetrug für Babiš' Resort Storchennest in einem immer bizarreren Licht dar.


Der Premier, ein erfolgreicher Unternehmer, wollte einst die zu seinem Mischkonzern gehörende Wohlfühloase in Mittelböhmen mit EU-Geldern aufhübschen. Da diese Gelder nur für kleine und mittelständische Unternehmen vorgesehen waren, löste er das Storchennest aus seinem Milliarden Dollar schweren Unternehmen Agrofert heraus und überschrieb es an seine beiden Kinder aus erster Ehe und seine jetzige zweite Ehefrau. Das kleine, für Babiš eigentlich unbedeutende Projekt, bekam auf diese Weise umgerechnet knapp 2 Mio. Euro zu seiner Fertigstellung. Nachdem das Geld aus Brüssel geflossen war, verleibte Babiš das Resort wieder in seinen großen Mischkonzern ein. Ermittler untersuchen seither, ob Babiš EU-Regeln verletzt hat.

„Urlaub oder Psychiatrie?“

Und nun die neue Entwicklung: Der erwachsene Sohn des Premiers, Andrej jr., erzählte an seinem jetzigen Wohnort in der Schweiz zwei mit versteckter Kamera bewaffneten tschechischen Enthüllungsjournalisten, dass ihn sein Vater auf die von Russland annektierte Krim entführen ließ. Dadurch sollte er für tschechische Ermittler nicht erreichbar sein, da Andrej jr. seinem Vater als Strohmann in der Causa Storchennest gedient hatte.


Babiš hat aber eine andere Erklärung: Seine beiden Kinder aus erster Ehe, Andrej jr. und dessen ältere Schwester Adriana, seien psychisch krank und könnten deshalb nicht verhört werden. Die vermeintlich psychisch Kranken waren allerdings nicht nur gut genug, den seltsamen Deal ihres Vaters zu decken; sie waren bis vor Kurzem auch noch beruflich sehr aktiv: Andrej jr. flog bis 2015 als Pilot eine Boeing 737 für eine kommerzielle Airline. Tochter Adriana führte ein Unternehmen.
Babiš soll angewiesen haben, dass in erster Linie sein Sohn „verschwinde“. Ein aus Moskau stammender „Betreuer“, der in Wahrheit bei Babiš als Fahrer angestellt war, stellte Babiš jr. vor die Alternative: „Entweder wir sperren Dich in der Psychiatrie weg oder wir machen Urlaub im Osten“. Die Entscheidung fiel nicht schwer: „Dann wollte ich lieber in den Urlaub“, sagte Babiš jr. den beiden Journalisten. „Mein Vater wollte mich schlichtweg loswerden“, fügte er hinzu. Die Ehefrau von Babiš' Fahrer, eine Psychiaterin, besorgte indes die notwendigen Papiere. Neben ihrem Job in einer geschlossenen Anstalt arbeitet sie auch als Beraterin für Babiš und ist in dessen Bewegung ANO aktiv. Als Fachärztin attestierte sie die psychische Krankheit von Babiš jr.
Die seltsame Geschichte hat Tschechien massiv erschüttert. Die Opposition im Parlament fordert den Rücktritt des Premiers, Freitag soll darüber abgestimmt werden. Nun hängt es am sozialdemokratischen Koalitionspartner und an den Kommunisten – die die Regierung tolerieren –, ob der Premier im Amt überlebt. Unklar ist vor allem, wie sich die Sozialdemokraten entscheiden werden. Bei einem Votum im Senat votierten sie bereits gegen ihn.

Zeman hält an Premier fest

Präsident Zeman will an Babiš festhalten, selbst wenn dieser die Abstimmung verliert. Damit zieht auch er den Unmut der Bevölkerung auf sich. Und der wächst sichtlich. Samstagabend verlangten etwa 20.000 Menschen bei einer Demonstration in Prag den Rücktritt des Regierungschefs. „Ich werde niemals zurücktreten!“, gibt sich der Premier indes kämpferisch. Die Demonstranten hoffen aber, dass ihr Protest das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten am Freitag beeinflussen wird.

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