EU-Werte: Budapest und Warschau isoliert

Ungarns Regierung scheint das Eigentor, welches sie sich mit ihren Provokationen gegenüber Brüssel schießt, nicht bewusst zu sein.
Ungarns Regierung scheint das Eigentor, welches sie sich mit ihren Provokationen gegenüber Brüssel schießt, nicht bewusst zu sein.(c) REUTERS (BERNADETT SZABO)
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Juristisch stecken die Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn fest. Politisch allerdings sind sie äußerst wirksam.

Brüssel. Ist das Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages, mit dem „die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der EU-Grundwerte geahndet werden kann, ein Rohrkrepierer? Diesen Eindruck können die beiden parallel laufenden Prozeduren gegen Polen und Ungarn erwecken. Am Dienstag standen beide Themen erneut auf der Liste der Tagesordnungspunkte des Treffens der Europaminister der Mitgliedstaaten in Brüssel. Über eine Aussprache mit den Vertretern der beiden Regierungen sowie der Europäischen Kommission ging man jedoch auch dieses Mal nicht hinaus. Davon, eine Abstimmung über die nächste Stufe des Verfahrens gegen den einen oder den anderen der beiden Staaten zu wagen, ist keine Rede. Allen Beteiligten ist klar, dass sich Budapest und Warschau gegenseitig die Mauer machen würden, sprich: kraft ihres Vetos im jeweiligen anderen Verfahren die Verhängung von Sanktionen wie dem Aussetzen der Stimmrechte im Rat blockieren würden.

Rute für die Nettozahler

Streng juristisch betrachtet also ist Artikel 7 im Lichte seiner ersten beiden Anwendungsfälle eine rechtliche Totgeburt. Doch politisch hat diese Bestimmung, welche mit dem Vertrag von Lissabon vor einem Jahrzehnt Eingang ins Unionsrecht gefunden hat, eine wachsende Bedeutung.

Das liegt, wie so oft, am lieben Geld. Denn vor dem Hintergrund von Brexit, Handelsstreit mit den USA und anderen krisenhaften Großthemen verhandeln die Mitgliedstaaten seit Monaten über das künftige Budget der Union für die Jahre 2021 bis 2027. Dieses wird kraft des Austritts des zweitgrößten Nettozahlers, Großbritannien, um mehr als ein Zehntel kleiner sein als bisher. Es ist nicht anzunehmen, dass die restlichen Nettozahler mehr Geld nach Brüssel überweisen werden, um diese Brexit-Lücke zu füllen. Und wenn doch, dann werden sie genauer als bisher darauf schauen, was mit diesen EU-Mitteln geschieht.

Hier dienen die Artikel-7-Verfahren den Nettozahlern, die über die Aufmüpfigkeit und mangelnde Solidarität Ungarns und Polens vor allem in der Migrationspolitik mehr als verschnupft sind, als Druckmittel und Rute. Mehrere EU-Diplomaten bestätigten gegenüber der „Presse“, dass es im Interesse der Finanziers des Unionshaushaltes ist, diese Verfahren gegen die beiden großen Nettoempfängerstaaten so lange wie möglich weiter köcheln zu lassen.

Neue Anti-EU-Kampagne

„Leider gab es seit dem letzten Mal keine Fortschritte, und mancherorts sogar Rückschritte“, fasste Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission, den Stand der Dinge im Falle Polens zusammen. Er drohte mit einem weiteren Vertragsverletzungsverfahren, weil polnische Richter, die sich öffentlich zur polnischen Justizgleichschaltung äußern, systematisch mit Disziplinarstrafen überzogen werden (siehe Artikel rechts).

Ungarns Regierung scheint das Eigentor, welches sie sich mit ihren Provokationen gegenüber Brüssel schießt, nicht bewusst zu sein. In einer neuen Anti-EU-Kampagne unterstellt sie der Kommission, „die Sicherheit Ungarns zu gefährden“, mit verpflichtenden Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen. Dies wird mit Fotos des Philanthropen George Soros und Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker illustriert. Die Kommission wies dies als „Fake News und Verschwörungstheorie“ zurück. „Ich haben den ungarischen Minister zweimal dazu gefragt“, sagte Timmermans. „Beide Male habe ich keine Antwort erhalten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2019)

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