Und nach dem Brexit? Bahn frei für die Etatisten!

Börse-Chef Boschan, „Presse“-Moderator Ultsch und WU-Professor Oberhofer.
Börse-Chef Boschan, „Presse“-Moderator Ultsch und WU-Professor Oberhofer. (c) Stanislav Kogiku
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Nach einem Ausstieg Großbritanniens wird in der Europäischen Union die Macht der südeuropäischen Schuldenmacherachse mit hoher Staatsquote wachsen, befürchten Börse-Chef Boschan und WU-Professor Oberhofer.

Wien. Der Brexit hat viele Unwägbarkeiten. Doch eines ist für Christoph Boschan, den Chef der Wiener Börse, und Wirtschaftsprofessor Harald Oberhofer klar: Liberaler und marktfreundlicher wird die Europäische Union nach einem Austritt Großbritanniens sicher nicht. Vor 500 Zuhörern diskutierten Boschan und Oberhofer am Mittwochabend im Festsaal der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) bei „Wirtschaft Wissenschaft Unplugged“, dem Debattenformat von WU und „Presse“, wie es nach dem Brexit weitergeht.

Mitten in die Veranstaltung platzte die Meldung, dass die britische Premierministerin, Theresa May, ihren konservativen Abgeordneten den Rücktritt angeboten habe, wenn sie im Gegenzug dem Brexit-Deal zustimmen. „Eine eigentümliche Logik. Erst soll das Unterhaus das Brexit-Abkommen absegnen, und dann tritt die Verantwortliche für diesen Deal ab“, kommentierte Boschan trocken.

WU-Professor Oberhofer präsentierte seine Studie über Handels- und Wohlfahrtseffekte des Brexit. Ausbaden müssen das Schlamassel vor allem die Briten selbst. Auf sie kommen bei einem ungeregelten EU-Austritt schlimmstenfalls Realeinkommensverluste von rund drei Prozent zu, beim Soft Brexit etwa 1,3 Prozent. Im Rest der EU wäre Irland am härtesten betroffen, mit Abstand gefolgt von den skandinavischen, baltischen und Benelux-Staaten. In Österreich wären bei einem Hard Brexit Realeinkommensverluste von höchstens 0,05 Prozent zu befürchten.

Doch Oberhofer ist Optimist. Er tippt immer noch auf einen Soft Brexit, eine Zustimmung zum Austrittsabkommen. Danach jedoch, so glaubt er, könnte eine längere Verhandlungsperiode über die künftige Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU folgen. Eine Zollunion wäre die einfachste Lösung, doch dafür gebe es in London keine Mehrheit. Und was hieße der Brexit für das EU-Budget? Oberhofer sieht eine Finanzierungslücke von jährlich zehn Milliarden Euro, wenn die britischen Nettozahler aussteigen. Bei konstantem Ausgabenniveau käme auf Österreich eine jährliche Beitragserhöhung von 277 Millionen Euro. Außer: Die EU ringt sich dazu durch, neue EU-Abgaben einzuführen, etwa die seit Langem diskutierte Finanztransaktionssteuer.

Für Boschan, den Chef der Wiener Börse, eine wahnwitzige Vorstellung zu einer Zeit, in der in London der „größte Offshore-Finanzplatz“ der Welt entstehe. Er befürchtet eine Zunahme des Etatismus in der EU, sobald das britische Mutterland des Kapitalismus nicht mehr im Klub ist. Zur Illustration weist er knapp auf Staatsquoten hin – Großbritannien: 38 Prozent, Österreich: 49 Prozent.

Die Gewichte in der EU werden nach dem Brexit anders verteilt sein, erläutert Oberhofer. Nicht unbedingt zugunsten der Kleinen. Den in der Relation größten Machtzuwachs ordnet er Deutschland, Spanien, Polen und Frankreich zu. Häme über den britischen Ausstieg aus der EU sei nicht angebracht, so Boschan. Denn nun werde die südeuropäische Achse mit lockerer Schuldenpolitik stärker. Mit Frankreich an der Spitze. Dort liegt die Staatsquote bei 55 Prozent. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2019)

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