Brexit

„Mini-Deals sind keine Option“: Geduld der Europäer am Ende

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Nach der dritten Ablehnung des Austrittsabkommens im Londoner Parlament erwartet man in Brüssel und den europäischen Hauptstädten einen harten Brexit in zwei Wochen. Es wächst der Drang, sich vom britischen Patienten schnell zu befreien.

Brüssel. Man bedauere die Entscheidung des House of Commons, halte den harten Brexit nun für wahrscheinlich, doch Extrawürste, um ihn abzuwenden, dürfe sich London von der EU nicht erwarten: Diese harte Botschaft sandte die Europäische Kommission am Freitag aus – unmittelbar nach dem dritten und letzten gescheiterten Versuch von Premierministerin Theresa May, das mit Brüssel seit Monaten fertig verhandelte Austrittsabkommen samt eine unverbindlichen politischen Erklärung über die zukünftigen Beziehungen durch das Unterhaus zu bringen.

„Die Kommission bedauert die negative Abstimmung heute“, heißt es in der Mitteilung der EU-Behörde. Das Austrittsdatum liegen nun fürs erste auf dem 12. April. „Es wird am Vereinigten Königreich liegen, davor anzugeben, wie es weitergehen soll, damit sich der Europäische Rat damit befassen kann.“ Dieser, also die Runde der 27 Staats- und Regierungschefs unter Vorsitz seines Präsidenten Donald Tusk, wird am 10. April bei einem Sondergipfeltreffen in Brüssel seine Schlüsse ziehen.

Der No-Deal, sprich: der Austritt ohne dauerhafte Klarheit über unzählige Aspekte des täglichen Lebens, welche in mehr als vier Jahrzehnten europäischer Mitgliedschaft der Briten verrechtlicht worden waren, ist nun aus Sicht der Kommission „ein wahrscheinliches Szenario. Die EU wird geeinigt bleiben. Die Vorteile des Austrittsabkommens, einschließlich einer Übergangsperiode, werden unter keinen Umständen in einem No-Deal-Szenario nachgebildet. Sektorielle Mini-Deals sind keine Option.“

Londons Sympathiebonus aufgebraucht

Mit dieser harten Linie darf sich die Kommission, deren Chefverhandler Michel Barnier allseits in höchsten Tönen für seine Arbeit gelobt wird, im Einklang mit der Stimmung in so gut wie allen europäischen Regierungen wissen. Welchen Sympathiebonus die Briten auch genossen haben mögen, vor allem in den nordischen Staaten und in den früher kommunistisch beherrschten Mitgliedern: er ist nun großteils verbraucht.

Am Freitag, wenige Stunden vor dem dritten Scheitern Mays in ihrem Parlament, hatte eine aktuelle Schlüsselfigur der französischen Europapolitik klare Worte für die Briten: „Sie müssen sich entscheiden, denn die Europäer haben andere Prioritäten, als darauf zu warten, dass das Vereinigten Königreich seine Entscheidung trifft“, sagte Nathalie Loiseau, bis vor Kurzem Europaministerin und nun Spitzenkandidatin der französischen Regierungspartei En Marche! für die Europawahlen, am Freitag in einem Radiointerview. Tags zuvor hatte sie zudem klargestellt, was Paris von der Idee einer zweiten Volksabstimmung über den Brexit hält: „Ich bin einem neuen Referendum gegenüber derzeit ablehnend eingestellt, weil ich finde, dass das eine Verneinung der Demokratie wäre. Ich denke, dass die Briten austreten müssen. Es liegt schlicht und einfach an ihnen, wie sie austreten.“

In so gut wie allen Hauptstädten wächst der Drang, sich der chaotischen und in Selbstzerfleischung befindlichen britischen politischen Klasse auf absehbare Zeit, dafür aber umso schneller, zu entledigen. Theoretische Erwägungen über den Verlust strategischen Gewichts der EU auf der Weltbühne durch den Austritt der zweitgrößten Volkswirtschaft, Nuklear- und Vetomacht im UN-Sicherheitsrat schwinden.

„Eine Menge anderer Dinge zu tun“

Sie treten hinter pragmatische Befürchtungen davor zurück, wie diese britische Regierung die ohnehin knifflige Einigung über das nächste Rahmenbudget der Jahre 2021 bis 2027, den Aufbau einer gemeinsamen Verteidigungspolitik oder eine Stärkung der Souveränität Europas gegenüber den USA unter Präsident Donald Trump erschweren würde. „Wir haben in der EU mit einer ganzen Menge anderer Dinge zu tun“, sagte der schwedische Minister für EU-Angelegenheiten, Hans Dahlgren, vorige Woche.

Und auch die Geduld der europäischen Bürger mit den Briten schwindet. 67 Prozent der Deutschen zum Beispiel fänden es schlecht, wenn die Entscheidung über einen Brexit noch längere Zeit verschoben werden würde, ergab das am Donnerstag veröffentlichte jüngste ZDF-Politbarometer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2019)

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