Kurz will einen neuen EU-Vertrag

Sebastian Kurz
Sebastian Kurz Reuters (Yves Herman)
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Kanzler Sebastian Kurz will eine kleinere Kommission, keine eigene EU-Armee und nur mehr einen Sitzungsort.

Wien. Mit einem überraschenden Vorstoß wartet Bundeskanzler Sebastian Kurz am Vorabend des EU-Wahlkampfauftakts der ÖVP auf. In einem Interview mit der „Presse“ und den Bundesländerzeitungen spricht sich der Kanzler für einen „Umbau der Europäischen Union“ aus. Konkret verlangt Kurz ein „Update“ des EU-Vertrags. Der Lissabonner Vertrag wurde 2007 ausverhandelt und trat 2009 in Kraft. In der Zwischenzeit habe sich aber die Geschäftsgrundlage geändert, die neuen Herausforderungen seien vom bestehenden Vertrag gar nicht erfasst.

„Seit dem Lissabonner Vertrag hat sich in Europa viel verändert“, begründet der ÖVP-Chef den Vorstoß. „Wir hatten eine Schuldenkrise, eine Eurokrise, die Migrationskrise, die Klimakrise und auch noch das Brexit-Chaos.“ Die EU sei aus dem Krisenmodus nicht herausgekommen, deshalb die Schlussfolgerung: „Es braucht einen neuen EU-Vertrag, der aktuelle ist nicht mehr zeitgemäß.“ Konkret sollten die Institutionen verschlankt, die Sanktionsmechanismen verschärft, das Wettbewerbsrecht überarbeitet, der Fokus auf Schlüsselbereiche wie die Außenpolitik gelegt werden. „Es braucht einen neuen Vertrag mit klareren Sanktionen gegen Mitglieder, die Schulden machen, Strafen für Länder, die illegale Migranten nicht registrieren und durchwinken, sowie harte Konsequenzen bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit und liberale Demokratie.“ Die Rechtspopulisten seien keine Verbündeten. „Unser Ziel ist es, die EU besser zu machen, nicht die EU zu zerstören oder mit Austrittsfantasien zu spielen.“

In einem Punkt wagt sich Kurz auf heikles Terrain. „Wir müssen den Wanderzirkus des EU-Parlaments beenden.“ Der ÖVP-Chef spricht sich für eine Verlegung des Sitzes des EU-Parlaments nach Brüssel aus. Zum Einwand, Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, werde dem Vorschlag nie zustimmen: „Macron tritt als Reformer auf. Wer Reformen fordert, muss bereit sein, sie auch dort zu machen, wo es selbst wehtut.“ Straßburg besitzt als Ort der deutsch-französischen Aussöhnung eine hohe Symbolkraft.

Kurz will an der institutionellen Architektur der EU nichts ändern, ihm schwebt aber eine Verkleinerung der Kommission vor. Künftig soll nicht mehr jedes Land automatisch einen Kommissar stellen, die Nominierung sollte einem fairen Rotationssystem unterworfen werden. Generell wirft der Kanzler der Union einen Hang zur Überregulierung vor. „Es gibt bereits heute mehr Kommissare als Aufgabenbereiche. Jedes Mal, wenn es in Europa ein Problem gibt, schlägt man eine neue Behörde vor.“

„Generationswechsel an EU-Spitze“

Der Umbau der EU sollte noch heuer angegangen werden. „Es muss möglichst schnell nach der Wahl nicht nur zu einem Wechsel der Personen, sondern auch zu einer inhaltlichen Neuausrichtung kommen.“ Indirekt spielt Kurz auf den abtretenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker an. „Ich bin allen dankbar, die für die EU viel geleistet haben. Was es braucht, ist ein Generationswechsel an der Spitze.“

Im Detail macht sich Kurz für eine stärkere Fokussierung der EU auf große Fragen wie die Außen- und Sicherheitspolitik stark. „Eine EU-Armee, bei der Mitgliedsländer das Kommando abgeben, wird es nicht geben. Staaten werden nicht bereit sein, die Entscheidung für die Entsendung der eigenen Soldaten in Krisengebiete an Brüssel abzugeben. Was es aber braucht, ist eine enge Zusammenarbeit in der Abstimmung oder beim Einkauf. Das würde Milliarden sparen.“ Auch sollten die Sanktionsmechanismen bei Verstößen gegen die EU-Spielregeln in der Finanz- oder Migrationspolitik verschärft werden. „Wir haben viele Regeln niedergeschrieben, die nicht zur Anwendung kommen, weil man Ausnahmen beschließt oder wegsieht.“

Ebenso müsse die Wettbewerbsfähigkeit der EU deutlich verbessert werden. Bei der Elektromobilität und der künstlichen Intelligenz gelte es, die Kräfte zu bündeln; das bestehende EU-Wettbewerbsrecht soll geändert werden, „damit wir europäischen Unternehmen nicht im Weg stehen, wenn sie zu internationalen Champions aufsteigen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2019)

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