Italien zündelt wieder am Euro

„Alle Indikatoren blinken rot“: EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici begründete am Mittwoch, wieso ein Defizitverfahren gegen Italien geboten ist.
„Alle Indikatoren blinken rot“: EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici begründete am Mittwoch, wieso ein Defizitverfahren gegen Italien geboten ist.REUTERS
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Die Kommission spricht sich für ein Defizitverfahren gegen Rom aus. Doch Sanktionen sind wie schon im Vorjahr aus politischem Kalkül unwahrscheinlich.

Brüssel. Der Machtkampf zwischen Italiens Regierung und der EU-Kommission um die mögliche Bestrafung der italienischen Schuldenpolitik flammt ein halbes Jahr nach seiner vorläufigen Beendigung neu auf. Am Mittwoch gab die Kommission bekannt, dass sie ein Defizitverfahren gegen Italien für angebracht hält, weil die Staatsschuldenquote entgegen der Verpflichtungen Roms gegenüber den anderen Mitgliedstaaten und vor allem der Eurozone ungebremst steigt.

Anders als im ersten Akt des Streits mit der populistischen und europakritischen Regierung im vorigen Herbst fußt das Urteil der Kommission nicht auf den italienischen Budgetplänen, sondern auf den nachweislichen Budgetzahlen. Die sind besorgniserregend. Laut Frühjahrsprognose der Kommission beträgt die Staatsschuld heuer 133,7 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Italiens. Im kommenden Jahr soll sie gar auf 135,2 Prozent steigen. Die eigenen statistischen Angaben Roms sind nicht weniger brenzlig: Sie sehen für heuer eine Staatsschuld von 132,6 Prozent, die im kommenden Jahr auf 131,3 Prozent sinken soll. All diese Werte bedeuten, dass Italien hinter Griechenland weiterhin den zweithöchsten Schuldenstand aller Unionsmitglieder hat und keine Anzeichen erkennen lässt, diesen zu senken. Oder, um mit den Worten von EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici zu sprechen: „Alle Indikatoren blinken rot.“

In drastische Zahlen gefasst illustrieren die Ökonomen der Kommission ihren Bericht so: 2018 betrug allein der Zinsendienst für diese Schulden durchschnittlich 1000 Euro pro Italiener. Die gesamte Schuld machte 38.400 Euro pro Einwohner aus. Italien gab im Vorjahr rund 65 Mrd. Euro beziehungsweise 3,7 Prozent des BIPs dafür aus, Schulden zurückzuzahlen: ungefähr derselbe Betrag an öffentlichen Ressourcen, die für das Bildungswesen verwendet werden.

Gerüchte über Parallelwährung

Die Empfehlung der Kommission, ein Defizitverfahren zu eröffnen, wird in den kommenden Monaten von den nationalen Regierungen behandelt werden. Theoretisch hätten die Finanzminister es in der Hand, Rom dazu zu verdonnern, bis zu 0,2 Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung als Sanktion auf ein Sperrkonto zu legen, bis die Schuldenpolitik korrigiert ist. Das wären mehr als drei Milliarden Euro.

Das ist allerdings nicht zu erwarten. Zu groß ist die Sorge der anderen Regierungen, mit dieser erstmaligen Bestrafung eines EU-Mitglieds wegen seiner Haushaltspolitik dem rechtspopulistischen Vizepremier und Innenminister von der Lega, Matteo Salvini, in die Hände zu spielen.

Parallel zu diesem Zwist befeuert eine unverbindliche Entschließung des italienischen Parlaments von vor einer Woche Warnungen davor, dass Rom heimlich den Ausstieg aus dem Euro vorbereite. Die Abgeordneten beschlossen einstimmig, dass unter anderem die Einführung von „Minibots“ geprüft werden solle. Das wären staatliche Schuldscheine in kleiner Stückelung, mit denen der Staat seine Schulden bei Unternehmen begleichen können solle. Diese „Minibots“ (deren Name auf Italiens herkömmliche Staatsanleihen anspielt) könnten dann als Zahlungsmittel für Bürger und Unternehmen akzeptiert werden, um Steuern zu begleichen oder Benzin an Tankstellen des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Eni zu beziehen. So eine Parallelwährung ist EU-Mitgliedern verboten. Das hielt Claudio Borghi, den Wirtschaftssprecher der Lega, aber nicht davon ab, sie als Hebel vorzuschlagen, um Italien aus dem Euro zu lösen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2019)

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