Die Zustimmung des Europaparlaments ist nicht sicher, es gibt wenig Spielraum bei Besetzung ihres Kommissarsteams.
Wien. Mit einem Blitzbesuch beim Europaparlament in Straßburg am Mittwoch hat Ursula von der Leyen ihre Kampagne für die Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin gestartet. Die Visite war insofern naheliegend, als die Europaabgeordneten der Kandidatin der EU-Staats- und Regierungschefs ihren Segen geben müssen, damit diese am 1. November Jean-Claude Juncker beerben kann. "Mir war es sehr wichtig, nachdem diese Nominierung erfolgt ist, dass ich sofort als allererstes hier nach Straßburg gekommen bin, um das Parlament zu treffen, mit den Abgeordneten zu sprechen", sagte die CDU-Politikerin am Mittwochabend. "Hier im Europäischen Parlament schlägt das Herz der europäischen Demokratie." Sie werde nun viel zuhören, um in den nächsten 14 Tagen dem Parlament ihre Vision für Europa darlegen zu können. Die Nominierung bezeichnete sie als Ehre, sie sei dankbar und überwältigt.
Da das EU-Parlament diese Woche mit der Kür seines Spitzenpersonals befasst ist, wird das Votum über die Kommissionschefin in spe voraussichtlich in zwei Wochen während der letzten Straßburger Plenartagung vor der Sommerpause stattfinden.
Die nächste Hürde, die von der Leyen nehmen muss, ist also das Europaparlament. Noch ist nicht klar, ob sie von genügend Mandataren unterstützt wird – die einfache Mehrheit genügt. Vor allem Sozialdemokraten und Grüne hadern mit der Personalentscheidung der Staats- und Regierungschefs. Doch auch auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten stehen der Kandidatin anstrengende Wochen bevor. Die CDU-Politikerin muss nämlich ein Kommissarsteam zusammenstellen, dem das Parlament nach der Sommerpause das Vertrauen aussprechen kann. Und der mühsame Prozess der Entscheidungsfindung während des EU-Sondergipfels hat einige Entscheidungen vorweggenommen.
So gilt es als fix, dass der Sozialdemokrat Frans Timmermans (Niederlande) und die Liberale Margrethe Vestager (Dänemark), die Spitzenkandidaten ihrer Parteienfamilien bei der Europawahl im Mai, mit Posten der Kommissionsvizepräsidenten bedacht werden. Timmermans war bereits unter Juncker der Erste Vizepräsident und als rechte Hand des Kommissionschefs unter anderem für die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn zuständig. Dass er dieses Portfolio beibehält, gilt als relativ wahrscheinlich, denn der Kampf um die Einhaltung der europäischen Grundwerte gewinnt auf EU-Ebene an Bedeutung – auch vor dem Hintergrund der anstehenden Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der Union. Angesichts des bevorstehenden Wegfalls des großen Nettozahlers Großbritannien wird in Brüssel darüber nachgedacht, die Auszahlung von EU-Subventionen von der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit abhängig zu machen – was erstens die großen Nettoempfänger Polen und Ungarn treffen und zweitens das EU-Budget entlasten würde.
Seltsame Freude in Warschau
Angesichts dieser Ausgangslage ist es wenig nachvollziehbar, dass die Kür von der Leyens vom offiziellen Polen als Erfolg gewertet wurde. Sie sei eine erfahrene Politikerin und sehr konziliante Person, die positive Emotionen wecke und umgänglich sei, schwärmte etwa Außenminister Jacek Czaputowicz am Mittwoch. Noch seltsamer wirkt nur die Tatsache, dass die in Warschau regierende nationalpopulistische Partei PiS ihre Europa-Skepsis gegenüber ihren (überwiegend europafreundlichen) Wählern stets damit begründet hatten, eine deutsche Übermacht in der EU verhindern zu wollen. Auch die offene Feindschaft gegenüber Ratspräsident Donald Tusk (im früheren Leben Premier und Chef der liberalkonservativen Partei PO) wurde von den polnischen Populisten damit erklärt, Tusk, der Intimfeind von PiS-Chef Jarosław Kaczyński, sei ein verkappter Erfüllungsgehilfe Angela Merkels.
Die Zustimmung Warschaus zur Merkel-Vertrauten von der Leyen wirkt daher erstens unglaubwürdig und zweitens wie gute Miene zum bösen Spiel: Warschau hat zwar die Wahl von Timmermans zum Kommissionschef (mit-)verhindert, aber damit wenig bis gar nichts erreicht. Glaubwürdiger waren indes die Balten, die die Personalentscheidung des Rats geschlossen begrüßten. In Litauen, Lettland und Estland werden der Einsatz der deutschen Verteidigungsministerin für die Stationierung eines Nato-Verbands im Baltikum und ihre Skepsis gegenüber Russland hochgehalten.
In Österreich griff FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordneter Harald Vilimsky die alte Argumentationslinie der polnischen Nationalpopulisten auf: Es sei „besorgniserregend“, dass von der Leyen als „verlängerter Arm Merkels“ nach Brüssel geschickt werde. Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im Europaparlament, bezeichnete die Nichtwahl eines Spitzenkandidaten als „großen Fehler“, auch Grüne und Neos übten Kritik. Die ÖVP signalisierte indes Unterstützung für von der Leyen. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2019)