Der ÖVP-Delegationsleiter wird erneut Präsidiumsmitglied – so wie die Fidesz-Abgeordnete Járóka.
Straßburg. Othmar Karas beginnt seine fünfte Amtsperiode im Europaparlament mit einer persönlichen Auszeichnung: Wie schon in den Jahren 2012 bis 2014 wird der Leiter der ÖVP-Delegation einer der 14 Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses. Und er hat für dieses zweieinhalb Jahre dauernde Mandat Großes vor: „Wir sind an einer Weggabelung angekommen. Die liberale Demokratie ist gefährdet. Das liegt an neuen Formen des Autoritarismus“, teilte er mit. „Daher werde ich das Amt des Vizepräsidenten nutzen, um für den Erhalt und die Weiterentwicklung der liberalen Demokratie zu kämpfen.“
Sein neues Amt gibt ihm reichlich Gelegenheit, sich im Präsidium des Parlaments mit seiner ungarischen Parteikollegin, Lívia Járóka, über neue Formen des Autoritarismus und den Erhalt der liberalen Demokratie auszutauschen. Denn auch die Abgeordnete der Fidesz-Partei von Ungarns Ministerpräsidenten, Viktor Orbán, wurde am Mittwoch zur Vizepräsidentin der Kammer gewählt – als Kandidatin der Europäischen Volkspartei (EVP), so wie Karas. Er erhielt 477 Stimmen, sie 349, was recht knapp über der nötigen Mehrheitsschwelle von 331 lag. Die Erste Vizepräsidentin wird erneut die Irin Mairead McGuinness von der EVP, die 618 der 661 gültigen Stimmen erhielt.
Fadenscheiniger EVP-Beschluss
Sollte es bisher noch Zweifel daran gegeben haben, ob der Fidesz nach der Suspendierung ihrer Mitgliedschaft in der EVP, die die Partei Ende März nach langer Nachdenkpause beschlossen hat, wieder rehabilitiert ist, besteht nun Klarheit. Fidesz-Politiker können problemlos im Namen der EVP für die höchsten Ämter im Europaparlament kandidieren und erhalten dafür auch den nötigen Rückhalt der Fraktion. Denn die damals als enorm scharfe Sanktion präsentierte Suspendierung ist, genau betrachtet, stumpf: „Der Fidesz wird nicht mehr länger Rechte als Parteimitglied haben“, hieß es in dem Beschluss. „Der Fidesz wird nicht länger das Recht haben, in Parteisitzungen abzustimmen oder Kandidaten für Posten vorzuschlagen. Der Fidesz wird nicht länger bei jeglichen EVP-Treffen anwesend sein.“ Joseph Daul, der Präsident der Partei, erklärte damals: „Die EVP ist eine Partei der Werte. Wir können bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, akademischer Freiheit oder Minderheitenrechten keine Kompromisse eingehen.“ Auf die Frage der „Presse“, wie Járókas Kandidatur zu diesem Beschluss passe, erklärte ein EVP-Sprecher, die Geschäftsordnung des Parlaments sehe keine Suspendierung aus Fraktionen vor. Zudem sei Járóka nur eine „Notnagelkandidatin“, mit der verhindert worden sei, dass ein Kandidat der rechtspopulistischen Fraktion „Identität und Demokratie“ (hier ist die FPÖ dabei) gewählt worden wäre.
Unmut in Parteienquartett
Diese Wahl veranschaulicht, wie schwer für Ursula von der Leyen, die Kandidatin für den EU-Kommissionsvorsitz, die Bildung einer breiten, proeuropäischen Mehrheit im Parlament wird. So warfen die Grünen den Liberalen vor, im Zuge der zwischenparteilichen Koordination eine Wahlempfehlung für Járóka abgegeben zu haben. Das wiesen zumindest die französischen Liberalen zurück: Sie hätten gegen Járóka und für die finnische Grüne Heidi Hautala gestimmt.
PERSONALIA
Othmar Karas
Der Frontmann der ÖVP im Europaparlament wurde nach 2012 bis 2014 bereits zum zweiten Mal Vizepräsident des Abgeordnetenhauses.
Lívia Járóka
Die Fidesz-Politikerin wurde ebenfalls Vizepräsidentin und bewies, dass es der EVP mit der Suspendierung ihrer ungarischen Schwesterpartei nicht ernst ist.
Mairead McGuinness
Die Irin war Wunschkandidatin vieler für den Posten des Parlamentspräsidenten. Zum Trost wurde sie mit großer Zustimmung Vizepräsidentin.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2019)