Die frühere bulgarische EU-Kommissarin und Weltbankvizechefin erhält die meisten Stimmen der EU-Finanzminister und steht somit davor, IWF-Direktorin zu werden.
Brüssel. Nach mehr als zwölfstündigen Verhandlungen und mehreren Abstimmungen stand am Freitagabend fest: Die Bulgarin Kristalina Georgiewa, frühere EU-Kommissarin und Vizepräsidentin der Weltbank, hat die Mehrheit der Stimmen der Finanzminister der Union für sich gewonnen, um neue Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu werden.
Gemäß beider Kategorien, in denen die Stimmen der Minister gewogen werden, lag sie klar vor dem früheren niederländischen Finanzminister und vormaligen Vorsitzenden der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem: Sie hatte die Stimmen von Finanzministern für sich, die 57 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten und 56 Prozent der Mitgliedstaaten.
Dijsselbloem gratulierte ihr via Twitter. Damit dürfte ein formelles Problem gelöst sein, denn: Georgiewas Mehrheit schien zu klein. Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire, der diese Abstimmung (die übrigens via E-Mail abgewickelt wurde) koordinierte, hatte tags zuvor vorgeschlagen, dass die Regeln für Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit gelten sollen, wie sie seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags vor einem Jahrzehnt für gesetzgebende Beschlüsse in den Ministerräten der EU die Norm sind. Sie beträgt 55 Prozent der Mitgliedstaaten – die aber 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen.
Georgiewa hätte diesfalls also zu wenige Staaten hinter sich, meinten vor allem die nordischen Länder, welche Dijsselbloem unterstützten. Le Maire sah das jedoch völlig anders: Es sei nie beabsichtigt gewesen, die EU-Abstimmungsregeln eins zu eins anzuwenden. Sie hätten nur als „Messlatte“ dienen sollen. Georgiewa liege klar vor Dijsselbloem, der Wille der EU sei somit eindeutig, hieß es am Freitagabend aus Paris. Auch sei es kein Problem, das Alterslimit von 65, welches für den IWF-Chef gilt, für die 65-jährige Georgiewa zu ändern: Das habe US-Finanzminister Steven Mnuchin zugesagt.
Macron gegen Merkel
Georgiewa und Dijsselbloem hatten jeweils ein politisches Lager hinter sich: Georgiewa wurde unter Anführung von Frankreichs liberalem Staatspräsidenten, Emmanuel Macron, von Italien und den osteuropäischen Staaten unterstützt. Dijsselbloem wiederum hatte die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, die Niederlande sowie die sozialdemokratisch regierten Staaten hinter sich.
Diese Aufstellung war politisch höchst delikat: Dijsselbloem hatte die Unterstützung des liberalen niederländischen Ministerpräsidenten, Mark Rutte, der sonst auf europäischer Ebene aber mit Macron gemeinsame Sache macht.
Georgiewa wiederum gehört, auch wenn sie sich parteipolitisch nie besonders in die Auslage gestellt hat, zur Europäischen Volkspartei – ebenso wie Angela Merkel, die aber den niederländischen Sozialdemokraten Dijsselbloem favorisierte. Eine Ursache für diese bemerkenswerte Verhärtung der Fronten dürfte sein, dass bei den Sozialdemokraten das Gefühl herrscht, bei der Vergabe der Spitzenämter in den EU-Institutionen vor einem Monat nicht ausreichend gewürdigt worden zu sein.
Auf dem Weg zu diesem Duell zwischen Dijsselbloem und Georgiewa blieben drei Kandidaten auf der Strecke: Sowohl die Finanzminister von Portugal und Spanien, Mario Centeno und Nadia Calviño, als auch der finnische Notenbank-Präsident, Olli Rehn, zogen ihre Kandidaturen zurück.
Seit der Internationale Währungsfonds, der „Kreditgeber in letzter Not“ für insolvente Staaten, vor sieben Jahrzehnten als Pendant der Weltbank im Rahmen der Bretton-Woods-Abkommen gegründet wurde, stand seine Führung ausnahmslos den Europäern zu (die Weltbank wurde bisher immer von einem Amerikaner geleitet, erst im April wählte man David Malpass zum Präsidenten).
Mit dem Aufstieg der früheren Entwicklungs- und Schwellenländer wurde schon vor Jahren der Ruf lauter, der Westen möge sich den neuen globalen Gegebenheiten fügen und auf diese beiden wichtigen Führungsämter verzichten. Daran haben die Europäer jedoch kein Interesse, vor allem im Licht des Machtgewinns Asiens.
Zudem hat die Eurokrise verdeutlicht, wie entscheidend die Herkunft des IWF-Chefs ist: Ohne die (von außen oftmals kritisierten) Entscheidungen des Franzosen Dominique Strauss-Kahn in den Jahren 2007 bis 2011 wäre der Fonds vermutlich nicht in die teuren Rettungsprogramme für Griechenland und andere Euroländer eingestiegen.
AUF EINEN BLICK
IWF. Der 1945 gegründete Internationale Währungsfonds wird traditionellerweise von einem Europäer geleitet, während die USA in der Weltbank das Sagen haben. Der IWF bekämpft Finanz- und Währungskrisen durch Vergabe von (an Auflagen geknüpften) Hilfskrediten an Länder, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. In der EU war der Fonds zuletzt im Eurokrisenstaat Griechenland tätig.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2019)