Großbritannien

Boris Johnsons „letztes Brexit-Angebot“ an die EU

Conservative Party annual conference in Manchester
Conservative Party annual conference in ManchesterREUTERS
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Sein Vorschlag trudelte am Mittwoch in Brüssel ein. Nordirland soll quasi eine Sonderzone in der EU sein.

London/Manchester/Brüssel. Der britische Premierminister Boris Johnson will eine Entscheidung zum EU-Austritt seines Landes erzwingen. Kurz nach Ende der Jahresversammlung seiner konservativen Partei in Manchester am Mittwochnachmittag, bei der er in groben Zügen und ohne Details zu nennen seine Ideen für einen „vernünftigen Brexit“ skizziert hatte, sandte er den Vorschlag offiziell und als „letztes Angebot“ nach Brüssel.

Am Abend wurde der Inhalt teilweise bekannt. Nordirland solle demnach sozusagen als Sonderzone näher an die EU rücken, um die gefürchteten Grenzkontrollen zwischen der Republik Irland, einem EU-Mitglied, und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland möglichst zu vermeiden.

Kernpunkt des Johnson-Pakets ist Berichten zufolge, dass auf der gesamten irischen Insel in bestimmten Bereichen des Handels einheitliche Regeln nach EU-Vorbild gelten, etwa für Lebensmittel, Agrarprodukte und Nutztiere. Nur so könnten sie problemlos über die irisch-nordirische Grenze gehen, und auch weiter in den Rest der Union. Güter, die von der britischen Hauptinsel übers Meer nach Nordirland kommen, sollen bei den lokalen Behörden angemeldet und durch sie überprüft werden. Auf dem Weg zwischen Irland und Nordirland soll das dann nicht mehr passieren, die Transporte sollten aber doch wechselseitig gemeldet werden. Man wolle auch für vier Jahre die EU-Bestimmungen für Lebensmittel und Industriegüter weiter befolgen.

Vetorecht für Nordiren

Da Großbritannien damit faktisch regional einen Teil seiner wirtschaftsrechtlichen Souveränität aufgibt, weil das Parlament in London keine Regeln in dem Bereich mehr machen kann, solle das – seit 2017 aufgelöste – Regionalparlament Nordirlands zunächst Ende 2020 oder Anfang 2021, nach der Brexit-Übergangsperiode, und dann alle vier Jahre über die Regelvereinheitlichung abstimmen. Damit könnten die Nordiren aber auch alles zu Fall bringen. Das dürfte der EU gar nicht gefallen. Seitens der Regierung in Dublin gab es am Mittwochabend schon Einwände.

Die EU-Kommission sah vorerst in den Vorschlägen eine „Grundlage für Verhandlungen“ und „positive Fortschritte“; allerdings blieben „problematische Punkte“. Wie der EU-Gipfel am 17. Oktober darüber befindet, steht in den Sternen. Überdies ist die Zustimmung des Londoner Parlaments nötig.

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Erneut Parlamentssperre geplant

Später am Mittwochabend wurde noch die Absicht Johnsons bekannt, einen weiteren Anlauf zu nehmen, um das Parlament vorläufig zu suspendieren. Das solle vom 8. Oktober bis zur Rede der Queen zum Regierungsprogramm am 14. Oktober der Fall sein. Eine von Johnson für September und Oktober angeordnete fünfwöchige Zwangspause des Parlaments hatte das Oberste Gericht Ende September für illegal erklärt und dem Premier Vorwürfe diktatorischen Verhaltens eingetragen. Eine tagungsfreie Zeit des Parlaments ist vor einer Thronrede zwar üblich, aber nicht für so lange. Die jetzt geplante einwöchige Pause aber sei laut dem Büro des Premiers die kürzestmögliche Zeit, um „alle logistischen Vorkehrungen“ für die Rede von Elizabeth II. zu treffen.

Vor dem konservativen Parteitag in Manchester hatte Johnson versprochen, unter keinen Umständen an oder nahe der irisch-nordirischen Grenze Kontrollen einführen. Er versprach die Respektierung des Friedensabkommens für Nordirland von 1998, das nicht nur eine harte Grenze beseitigt, sondern auch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum geschaffen hatte. Solange Irland und Großbritannien in der EU waren, war das einfach. Mit dem drohenden Brexit aber traten enorme Probleme zutage.

Erfolgschance: Null bis zehn Prozent

„Zwischen null und zehn Prozent“ bezifferten zwei britische Minister nach Angaben des TV-Senders Sky News die Chancen, mit den Vorschlägen in Brüssel zu reüssieren. Worum es Johnson offensichtlich zuallererst ging, war, für den Fall eines Scheiterns die Schuld der EU zuzuweisen. Wie sagte er am Parteitag in Manchester: „Das ist nicht etwas, was wir wollen. Aber . . .“ (gar/ag./red.)

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