Buhlen um Touristen: Willkommen in Tschetschenien

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Bei der Befriedung der früheren russischen Bürgerkriegsrepublik setzt Präsident Ramsan Kadyrow nun auch auf "Soft Power": Er will Touristen ins Land holen.

Als der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow im Mai eine seiner berüchtigten Twitter-Nachrichten losschickte, mochten viele an einen Scherz denken. „Tschetschenien ist sicherer als England“, ließ er wissen. Die Briten, deren Regierung eben eine Reisewarnung für den russischen Nordkaukasus erlassen hatte, sollten sich mit eigenen Augen überzeugen. „Seid willkommen!“, fügte Kadyrow hinzu.

Kadyrows Einladung ist kein Scherz, sie ist Strategie. Die tschetschenische Führung hat Tourismus zur Staatssache erklärt. Seit gut einem Jahr bemüht man sich verstärkt um den Wiederaufbau der in zwei Kriegen zerstörten touristischen Infrastruktur und wirbt um Besucher. Die Republik präsentiert sich auf russischen Tourismusmessen, man hat ansprechendes Werbematerial drucken lassen, einen überraschend professionellen Online-Reiseführer entwickelt. Das Kalkül: Touristen erzählen anderen von ihrem Urlaub. Im Idealfall erzählen sie, dass in der 1,3 Millionen Einwohner zählenden Republik tatsächlich alles so ist, wie es der Präsident stets predigt: keine Bomben, keine Schießereien, keine Bewaffneten im Wald. Ein befriedetes und friedliches Land.

Bis zum Zerfall der Sowjetunion war Tschetschenien bei den Unionsbürgern ein beliebtes Reiseziel. Aufgrund der vielen heißen Quellen gab es eine Reihe von Sanatorien. Beliebt war die Region auch bei Wanderern und Kulturliebhabern: Die steinernen Wehrtürme im Gebirge sind imposante Bauten eines Bergvolks, das jeden Eindringling früh erspähte. Grosny, von der UNO zu Beginn des Jahrtausends noch als die „meistzerstörte Stadt der Welt“ klassifiziert, wurde indes neu aufgebaut. Die Stadt scheint im Familienbesitz des Kadyrow-Clans: „Ramsan, danke für Grosny!“ steht in roten Lettern an einer Häuserwand.

Das Grosny von heute ist eine Stadt der Superlative: Die größte Moschee Europas namens „Herz Tschetscheniens“ steht hier; ein überbordendes Museum, in welchem dem bei einem Attentat getöteten Kadyrow Senior, genannt „Ahmat-Hadschi“, gehuldigt wird; auch ein riesiges Sportstadion namens „Ahmat-Arena“ gibt es.

Wenn man Elina Bataewa zuhört, dann ist Tschetschenien auf dem Weg zu einer ganz normalen Touristendestination. Die junge Frau arbeitet in dem Anfang 2013 neu gegründeten Komitee für Tourismus, einer Regierungseinrichtung. Für Bataewa ist Tourismus eine Herzensangelegenheit, ihr persönlicher Blog ist gefüllt mit Reiseberichten und Fotos tschetschenischer Ausflugsziele. Die Etappe des Wiederaufbaus sei abgeschlossen, sagt sie, jetzt gelte es, touristische Angebote zu entwickeln: „Das Interesse der Besucher wächst von Jahr zu Jahr.“

Mehrheitlich sind es Russen, für sie ist es oft eine Rückkehr an Orte, die sie von früher kennen. Doch Bataewa ist auch eine Gruppe aus Hongkong in Erinnerung, ebenso Amerikaner, Kanadier, Europäer. Die Zahlen geben ihr recht: 16.396 Übernachtungen inländischer Gäste zählte man im Vorjahr. 2010 waren es noch 4288. Stark gewachsen ist auch die Zahl ausländischer Gäste: von 118 im Jahr 2010 auf 3451 im Jahr 2012. Im Vergleich zu etablierten Destinationen sind diese Zahlen verschwindend gering. Elf Millionen Übernachtungen erzielte etwa die Steiermark 2012, die mit 16.400 Quadratkilometern nur ein wenig größer als Tschetschenien ist.

Aufgrund der noch immer instabilen Sicherheitslage ist der gesamte russische Nordkaukasus für Touristiker ein schwieriges Pflaster, auch wenn Moskau in der Region immer wieder Großprojekte ankündigt. Die gut informierte Webseite „Kaukasischer Knoten“ zählte im Vorjahr in Tschetschenien 82 Todesopfer und 92 Verletzte als Folge des Konflikts zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen sowie acht Bombenattentate.

Zwischen Rebellen und Militär. Bataewa weiß, dass ihre Republik erst am Anfang steht. „Viele denken bei Tschetschenien an Krieg, da 20 Jahre lang nur negative Informationen über das Land verbreitet wurden“, sagt sie. Doch wenn erst die Touristen kämen, würden sie sehen, dass es „absolut kein Problem“ gebe, glaubt Asja Merzhoewa, Chefin der Internetplattform „Chechnya Travel“. Freilich: Die eintägigen Exkursionen, die die Agentur ins Kaukasusgebirge anbietet, sind nicht gerade günstig. Lokale Bewohner raten von eigenmächtigen Ausflügen ab: Wenn man nicht gerade das Pech habe, Rebellen in die Arme zu laufen, so könne man sich Probleme mit Militär oder Geheimdienst einhandeln.

Die Regierung in Grosny scheint das nicht zu kümmern. Sie plant gerade in den Bergen Projekte: Neue Straßen sollen unzugängliche Regionen erschließen, ein Nobel-Skiressort im Dorf Wedutschi mit 19 Liften ist derzeit in Bau. Bei seiner Grundsteinlegung im Februar 2013 entgegnete Präsident Kadyrow auf die Frage nach der Sicherheit der Besucher in gewohnter Hausherrenart: „Das ist der sicherste Ort der Republik. Das garantiere ich.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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