Kindersoldaten: Bewaffnet bis an die Milchzähne

Kindersoldaten
Kindersoldaten(c) EPA (Nic Bothma)
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Von Zentralafrika bis Kolumbien: Im Jahr 2014 kämpfen weltweit immer noch hunderttausende Kindersoldaten. Wie sollen sie jemals Frieden finden?

Als er sechs Jahre alt ist, wird sein Dorf im Ostkongo überfallen. Den Buben nehmen die Rebellen mit. Seine Kindheit bleibt im Dorf. Mit acht Jahren bekommt er sein erstes Kalaschnikow-Gewehr. Mit zehn oder zwölf Jahren, so genau weiß das der Kongolese nicht mehr, wird er den ersten Menschen hinrichten. Sein Kommandant zwingt ihn, mit einer Machete einen Gefangenen zu zerstückeln.

Manchmal müssen auch die härtesten Psychologen schlucken, was ihnen ihre Gesprächspartner da so anvertrauen. „Harter Tobak“, seien die Schilderungen des jungen Kongolesen gewesen, sagt Tobias Hecker. Der Psychologe der Universität Konstanz forscht zu ehemaligen Kindersoldaten. Und dabei geht es auch um die Frage: Wie die Seele eines Menschen flicken, der als Kind einen anderen Menschen zerhackt hat?

„Man muss die Kinder als Opfer und Täter therapieren. Denn sie sind immer beides“, sagt Hecker. Es ist eine unbequeme, schmerzvolle Antwort. Das Wort Täter riecht nach Verurteilung. Doch darum geht es nicht. Wer den Kindern helfen will, müsse eben mit ihnen „die ganze Bandbreite an Erfahrungen und Gefühlen aufarbeiten“, sagt Hecker. Denn von all den Gräueltaten an Kindern vom Kongo über Zentralafrika bis nach Kolumbien ist das vielleicht das perfideste Verbrechen: Die Warlords rauben dem Nachwuchs seine Unschuld. Sie zwingen die Kleinen in eine Gewaltspirale.

Abhängig von Gewalt. Hecker: „Manche frühere Kindersoldaten erzählen mit einem Lächeln im Gesicht, wie sie jemanden getötet haben. Sie empfinden jede Form von Gewalt als positiv. Sie verbinden damit oft Macht, Überlegenheit, ein Rauschgefühl. Und das kann abhängig machen.“

Abstumpfen, die Hemmschwelle senken: Mit grausamen Ritualen brachten die Warlords ihre jungen Schützlinge zur Droge Gewalt. „Die erste Phase des militärischen Trainings ist oft unglaublich hart. Es gibt Scheinhinrichtungen. Dann werden die Kinder dazu gezwungen, selbst Gewalt anzuwenden, sich in der Gruppe zu schlagen“, sagt Hecker. Natürlich gibt es regionale Unterschiede. Bei den christlichen Fundamentalisten der auch im Norden Ugandas Jahrzehnte lang wütenden Lord's Resistance Army spielten religiöse Initiationsriten eine Rolle. Aber es finden sich auch Gemeinsamkeiten: „Praktisch in allen Ländern mit Kindersoldaten gibt es bewaffnete Gruppen, die dem Nachwuchs Alkohol und Drogen verabreichen, um seinen Willen zu brechen“, erklärt Kinderrechtsexperte Ralf Willinger von der Organisation Terre des Hommes.

Stück für Stück setze so die „totale Manipulation“ ein. Manchmal geht das mit der Abstumpfung aber auch ganz schnell: Bekannt sind Schilderungen aus einigen zentralafrikanischen Staaten über zwangsrekrutierte Kinder, die schon beim Überfall ihrer Dörfer zum Töten ihrer Angehörigen  gezwungen wurden – um ihnen so jede Rückkehrmöglichkeit zu verbauen.

Die Armee wird zur Ersatzfamilie, das Gewehr zur Mutter, der Kommandant zum Vater. Denn genau das macht die Rekrutierung von Kindern so reizvoll für blutrünstige Warlords: „Sie sind formbarer. Ihren Bezugspersonen vertrauen sie oft blind. Und der Krieg ist für sie anfangs ein Spiel. Sie sind sich ihrer Lebensgefahr gar nicht bewusst“, so Hecker.

Weltweit müssen groben Schätzungen zufolge rund 250.000 Kinder dieses „Spiel“ spielen. In über 20 Ländern gibt es laut Vereinten Nationen noch immer Kindersoldaten. Und das nicht nur in Rebellengruppen, sondern auch in regulären Armeen: Burmas Streitkräfte wurden in der Vergangenheit mit zigtausenden Kindersoldaten aufgerüstet. Ein Bruchteil von ihnen kommt nun frei, im Jänner etwa wurden wieder 96 Kinder aus der Armee entlassen.  Ganz aktuell gibt es Berichte über Kindersoldaten aus der zentralafrikanischen Republik, wo muslimische Seleka-Rebellen gegen christliche Milizen kämpfen. Und im  Syrien-Krieg wurden Kinder angeblich sogar auf Panzer gesetzt – als „menschliche Schutzschilder“.

Kinder auf Drogen. Das ist auch so eine grausame Gemeinsamkeit: „Die Kinder werden meist für die gefährlichsten Aufgaben missbraucht“, sagt Willinger. „Anfangs sind sie oft Boten, Spione oder sie erkunden Minenfelder. Dann werden sie nach und nach an der Waffe eingesetzt, an vorderster Front, auch für Sturmangriffe.“

Michael D. war so ein  Kindersoldat an vorderster Front im bis 2002 wütenden Bürgerkrieg um Sierra Leone. Mit 16 Jahren nahm ihn sein Onkel mit zur Armee, und bald darauf patrouillierte er mit dem Maschinengewehr durch das Dickicht des Regenwalds. Dort traf er dann auf die Gegenseite, die meist aus Dörfern entführten und in vielen Fällen noch viel jüngeren  Kindersoldaten der Rebellen. „Sie  waren alle unter Drogen“, sagt Michael D. Und bis an die Milchzähne bewaffnet. Natürlich gab es Kämpfe.

„Sie sind wütend“.  Michael D. hat den Absprung geschafft, die Flucht nach Deutschland, in eine andere schönere Welt, aber auch eine völlig fremde. „Es war nicht einfach. Ich hatte immer wieder ,Flashbacks‘, Albträume. Und ich war immer aggressiv. Ich konnte nicht normal diskutieren. Und das ist auch bei den anderen so. Sie sind wütend und sie sagen sich: ,Ich habe nichts zu verlieren.‘“ Es klingt schon fast kitschig, aber Michael D. hat neben einer Therapie die Musik geholfen. Er singt. Heute wirkt der Bremer ruhig, besonnen. Das sei aber immer ein „langer Prozess“, sagt er zur „Presse am Sonntag“. Nicht alle stehen ihn durch. Heckers Team hat bei den hunderten Gesprächen herausgefunden, dass 30 bis 40 Prozent der ehemaligen Kindersoldaten freiwillig zu bewaffneten Gruppen zurückkehren. Denn in der Post-Kriegsgesellschaft fühlen sie sich verloren: die Eltern oft tot, keine Ausbildung, nichts.

Aber es gibt auch einen Hoffnungsschimmer: Nur jeder vierte Kindersoldat braucht eine psychologische Behandlung, etwa wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Hecker: „Das war überraschend.“  Die anderen Kindersoldaten brauchen vor allem eines: eine Perspektive.

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Kindersoldaten. Die Zahl der Kindersoldaten – nach Unicef-Definition alle Kinder unter 18 Jahren – wird weltweit auf 250.000 geschätzt. Einige Hotspots: Burma (bis zu 80.000), Afrika (rund 120.000) und Kolumbien (rund 11.000).
Tipp. Im Rahmen der Ausstellung im Heeresgeschichtlichen Museum „Ich krieg dich – Kinder in bewaffneten Konflikten“ diskutiert am Dienstag um 19 Uhr eine Expertenrunde, darunter auch Christine Akello, die als Jugendliche unter der Lord's Resistance Army in Uganda gelitten hat und nun auf Einladung von World Vision in Wien ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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