Rassistische Gewalt versetzt tschechische Roma in Angst

(c) AP (Hidajet Delic)
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Die Roma-Minderheit leidet nicht nur unter Alltags-Rassismus. Extremisten machen mobil, schreien „Zigeuner ins Gas!“ und brennen Roma-Häuser nieder. Die "Arbeiterpartei" hetzt gegen Roma.

PRAG. Seit Sonntag kämpfen die Ärzte im Universitätsklinikum von Ostrava (Mährisch-Ostrau) um das Leben eines zweijährigen Mädchens. Die kleine Natalka hat bei einem Brandanschlag auf das Haus der Eltern im nordmährischen Vitkov schwerste Verbrennungen an 80 Prozent des Körpers erlitten. Die noch unbekannten Täter fuhren im Schutz der Dunkelheit mit einem Auto vor und schleuderten vier Molotowcocktails auf das Haus. Zeugen zufolge riefen sie dabei: „So, ihr Zigeuner, jetzt werdet ihr brennen!“ Zuvor hatten sie den frei zugänglichen Haupthahn für das Wasser vor dem Haus abgedreht. Die Eltern der Zweijährigen liegen ebenfalls im Krankenhaus.

Der Vorfall ist nicht der erste seiner Art in Tschechien. Immer wieder richten sich Verbrechen gegen Angehörige der Roma-Minderheit. Roma sind in Tschechien nicht wohlgelitten. Eine Mehrheit der „weißen“ Tschechen lehnt es strikt ab, mit Roma in Nachbarschaft zu leben.

Premier sieht „latenten Rassismus“

Ende der 90er-Jahre wurde im nordböhmischen Usti nad Labem eine Mauer zwischen einem Roma-Ghetto und Wohnhäusern von „Weißen“ hochgezogen. Die Errichtung der Mauer – zehn Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer – löste internationale Proteste aus. Die Mauer von Usti ist längst wieder weg, die Probleme sind geblieben.

Der noch amtierende Premier Mirek Topolánek räumt „latenten Rassismus“ in Tschechiens Gesellschaft ein. Die Großmutter der um ihr Leben ringenden Natalka sagt es anders: „Dass wir Zigeuner sind, heißt doch nicht, dass wir keine Menschen sind.“

Wie viele Roma unter den zehn Millionen Tschechen leben, weiß niemand genau. Schätzungen gehen von einer Viertelmillion aus. Die meisten leben in Nordböhmen und Nordmähren, den Regionen mit den größten wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Angesiedelt wurden sie dort einst von den Kommunisten – in Häusern, in denen zuvor häufig Sudetendeutsche gelebt hatten, die nach dem Krieg vertrieben worden waren. Die Roma dankten es den Kommunisten bei den Wahlen. Wirtschaftlich kamen sie in der sozialistischen Planwirtschaft einigermaßen über die Runden. Hilfsarbeiter wurden immer gebraucht.

„Arbeiterpartei“ hetzt gegen Roma

Dies hat sich nach der Wende 1989 dramatisch geändert. Die Arbeitslosenquote der Roma liegt bei über 90 Prozent. Die meisten leben von kümmerlicher Sozialhilfe. Viele haben sich bei reichen Roma verschuldet. Fordern die ihr Geld mit Wucherzinsen zurück, bleibt kein Geld mehr für Miete und Strom. Die Kommunen quartieren die säumigen Roma in Notquartiere um. Zwei Drittel der Roma hausen in solchen Siedlungen unter teilweise unbeschreiblichen hygienischen Umständen. Allein um Ostrava herum gibt es zehn solcher Ghettos.

Rechtsradikale machen sich die Probleme mit den Roma zunutze. Mitglieder einer dubiosen „Arbeiterpartei“ marschierten wiederholt durch Roma-Viertel und schrien „Zigeuner ins Gas!“. Besagte „Arbeiterpartei“ bekam bei den letzten Kommunalwahlen landesweit immerhin 26.000 Stimmen. Ein Verbot der Partei scheiterte vor Gericht.

Die Menschen in den attackierten Elendsvierteln fühlen sich bedroht und alleingelassen. Der Verein „Bewegung Roma-Widerstand“ forderte die Roma nach dem Brandanschlag auf, Wachdienste zu organisieren, für Fluchtwege aus Häusern und Wohnungen zu sorgen und alte Menschen, Frauen und Kinder nie allein zu lassen. Notfalls sollten Roma das Land verlassen und etwa in Kanada um Asyl ansuchen.

Jana Horvathova vom Museum der Roma-Kultur sieht ein Grundproblem in der schlechten Schulbildung der Roma-Kinder. „Die ungenügende Schulbildung hat eine geringe Qualifikation und eine vergebliche Suche nach Arbeit zur Folge.“ Die Roma-Kinder gehörten nicht in Sonderschulen, sondern in „normale“ Schulen, nachdem sie in einer Art nulltem Schuljahr ihr wichtigstes Handicap überwunden hätten – die mangelhaften Tschechischkenntnisse.

Ob die um ihr Leben ringende kleine Natalka aus Vitkov je eine Schule kennenlernen wird, steht derzeit in den Sternen. Ein tschechischer Kommentator schrieb, vielleicht wäre es besser, wenn das Mädchen sterben würde. Dann würden die Politiker vielleicht wirklich wachgerüttelt. Das klingt sehr zynisch. Für die betroffenen Roma klingt es auch zynisch, wenn Prager Politiker wieder und wieder von einer imaginären Integration sprechen, ohne etwas zu tun.

NEUE EU-STUDIE ZU ROMA

Unter Diskriminierung und Übergriffen leiden innerhalb der EU-Staaten vor allem Roma. Das ergibt eine aktuelle Studie der Union. Die Hälfte der 3500 in Bulgarien, Griechenland, Polen, der Slowakei, Tschechien, Rumänien und Ungarn befragten Roma gab demnach an, in den vergangenen zwölf Monaten diskriminiert worden zu sein. Bei den tschechischen und ungarischen Roma allein sind es sogar zwei Drittel.

18 Prozent der befragten Roma berichteten, im vergangenen Jahr Opfer rassistisch motivierter Übergriffe oder Drohungen gewesen zu sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2009)

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