Richter verbannen Kreuze aus Italiens Klassen

Urteil gegen Italien: Richter verbannen Kreuze aus Klassen
Urteil gegen Italien: Richter verbannen Kreuze aus Klassen(c) AP (Salvatore Laporta)
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Der Gerichtshof für Menschenrechte sieht die Religions- und Erziehungsfreiheit verletzt – und setzt auch Österreich unter Zugzwang. Das Urteil löst heftige Diskussionen über die Gestaltung von Klassenzimmern aus.

Wien/Straßburg. Eine symbolträchtige Entscheidung wurde am Dienstag vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefällt: Die Richter in Straßburg haben entschieden, dass in italienischen Klassenzimmern keine Kruzifixe hängen dürfen. Die christlichen Symbole verstießen gegen die Religionsfreiheit der Kinder und würden die Freiheit der Eltern verletzen, ihre Kinder nach ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu erziehen.

Gemeint ist damit die säkulare Überzeugung der finnischstämmigen Italienerin Soile Lautsi: Als Mutter kämpfte sie gegen Kruzifixe an, die – wie in ganz Italien üblich – in den Klassenzimmern jener Schule in Venetien angebracht waren, die ihre beiden Kinder besuchten. Trotz ihrer Proteste weigerte sich die Schulverwaltung, die Kreuze entfernen zu lassen. Erst der Gerichtshof in Straßburg gab Lautsi recht und verurteilte Italien dazu, der Frau 5000Euro Entschädigung zu zahlen.

Rom ruft höchste Instanz an

Das Urteil löst über die Frage der Gestaltung von Klassenzimmern hinaus heftige Diskussionen darüber aus, welche Position der moderne Staat gegenüber den Religionen einnehmen solle. Die ersten Reaktionen in Italien fielen entsprechend heftig aus: „Das Kreuz in den italienischen Schulklassen ist ein Symbol unserer Tradition“, sagte Unterrichtsministerin Maria Stella Gelmini von Silvio Berlusconis Partei Forza Italia. „Niemand, nicht einmal ein ideologisch beeinflusstes Gericht, wird uns unserer Traditionen berauben und unsere Identität auslöschen.“ Christdemokrat Rocco Buttiglione sprach von einem skandalösen Urteil. Während Altkommunist Paolo Ferrero die Entscheidung unter Verweis auf den laizistischen Staat, der sich mit keiner Religion identifizieren dürfe, begrüßte, kündigte die Regierung in Rom an, das Urteil von der Großen Kammer in Straßburg überprüfen zu lassen.

Folgen reichen nach Österreich

Sollte die Entscheidung endgültig werden, reichen ihre Folgen über Italien hinaus – auch nach Österreich. Hier schreibt das Religionsunterrichtsgesetz Kreuze in Klassenzimmern vor, und zwar in allen öffentlichen Schulen, an denen Religion ein Pflichtgegenstand ist und an denen die Mehrzahl der Schüler einer christlichen Religion angehört. Genau das steht auch im „Schulvertrag“, mit dem 1962 die schulrechtlichen Bestimmungen des Konkordats ersetzt wurden. Der Schulvertrag hat innerstaatlich den Charakter eines einfachen Gesetzes, ist zugleich aber ein völkerrechtlicher Vertrag. Änderungen sollen nicht ohne Einvernehmen mit dem Heiligen Stuhl erfolgen, heißt es darin.

Trotzdem begegnet die Regelung in Österreich denselben Einwänden wie die italienische Praxis. Österreicher hätten die gleichen Chancen in Straßburg wie Soile Lautsi. Zuvor müsste noch der Verfassungsgerichtshof angerufen werden, der einen Verstoß gegen die Grundrechte aufgreifen könnte.

Brigitte Schinkele, Religionsrecht-Expertin an der Uni Wien, hält das auf Anfrage der „Presse“ für gut möglich, nicht ohne die Straßburger Linie zu kritisieren. Schinkele sieht ein Kreuz im Klassenzimmer als „nicht grundrechtserheblich“ an: Die negative Religionsfreiheit, also das Recht, nicht mit religiösen Inhalten konfrontiert zu werden, sei nur geringfügig betroffen; ihre Überbewertung drohe die positive Religionsfreiheit ad absurdum zu führen. Schinkele empfiehlt eine Art Öffnungsklausel für Härtefälle – wenn einzelne Schüler durch Kreuze besonders betroffen sind. Eine solche Regelung wurde in Bayern geschaffen. Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht 1995 festgestellt, dass Kreuze und Kruzifixe in Pflichtschulen gegen die Religionsfreiheit verstoßen.

Viel eher als aus Schulklassen sollten Kreuze aus Gerichtssälen entfernt werden, findet Schinkele: „Die gehören wirklich weg.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2009)

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