Südafrika: Mob belagert wohlhabenden Vorort in Kapstadt

In Hout Bay, einem Vorort von Kapstadt, kommt es seit Tagen zu Ausschreitungen.
In Hout Bay, einem Vorort von Kapstadt, kommt es seit Tagen zu Ausschreitungen.(c) APA/AFP/RODGER BOSCH
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Die Ungleichheit sorgt für ein hohes Level an Kriminalität und ein höheres Maß an Unzufriedenheit der Bürger als in den meisten afrikanischen Ländern. Ein Erfahrungsbericht.

Kapstadt. Es ist ein komisches Gefühl, eingesperrt zu sein. Das Recht auf freie Bewegung ist so selbstverständlich, dass man selten darüber nachdenkt. Doch seit nunmehr drei Tagen kann ich mich an den Vormittagen nur innerhalb von wenigen Straßen bewegen. Mein Wohnort Hout Bay, ein bürgerlicher Vorort in Kapstadt, wird seitdem von gewalttätigen Demonstranten des Township Imizamo Yethu in Schach gehalten.

In das Tal von Hout Bay führen drei Straßen, die Victoria Avenue, die Main Road und die Empire Road. Sie werden allmorgendlich mit Felsen, gefällten Bäumen und brennenden Blechteilen, die von der Stadt für den Bau neuer Hütten zur Verfügung gestellt wurden, blockiert. Wer sich dennoch nähert, etwa um zur Arbeit zu gehen, wird mit Steinen beworfen und zur Umkehr gezwungen. Egal, ob Schwarz oder Weiß.

Hohes Maß an Kriminalität

Ich lebe seit sechseinhalb Jahren mit kurzer Unterbrechung in Hout Bay, von wo aus ich als Korrespondent über das Auf und Ab Südafrikas berichte. Die wachsenden sozialen Unterschiede, auch innerhalb der schwarzen Bevölkerung, sind immer wieder Bestandteil meiner Arbeit.

Die Ungleichheit sorgt für ein hohes Level an Kriminalität und ein höheres Maß an Unzufriedenheit in der Bevölkerung als in den meisten afrikanischen Ländern. Dabei sind die Lebensumstände in dem Schwellenland auch für die ärmeren Bevölkerungsschichten meist besser als in Entwicklungsländern. Doch wir schauen auf unsere Nachbarn, wenn wir unsere Lage einschätzen. Und nicht Tausende Kilometer weit weg.

Ich habe oft über diese Wut geschrieben, schließlich sollte sie angesichts wachsender sozialer Unterschiede in Europa auch in Industrienationen ein warnendes Beispiel sein. Jährlich gibt es in Südafrika laut Polizeistatistik rund 15.000 aktenkundige Vorfälle, die Menschenansammlungen betreffen, jeder fünfte involviert Gewalt. Das bedeutet 41 Vorfälle am Tag, acht davon sind Proteste mit Zerstörungen. Tendenz steigend. In den meisten Fällen ereignen sie sich weit außerhalb der Stadt, gemäß der fortbestehenden Architektur des einstigen Apartheid-Regimes, das die Townships zehn bis 15 Kilometer von Stadtzentrum und Vororten ansiedelte.

Diese Proteste lassen sich als Bürger, abseits der journalistischen Tätigkeit, im Alltag problemlos vergessen. In diesen Tagen aber erreichen sie, wohl erstmals während der demokratischen Geschichte Südafrikas, im großen Stil einen Vorort von Kapstadt, in dem viele mit ähnlicher Lebensqualität wie in Deutschland leben. Und damit auch mich.

Proteste fühlen sich anders an, wenn man seine schwangere Frau zur Arbeit eskortiert, nachdem die Polizei endlich die Randalierer verjagt und die Flammen auf der Straße gelöscht hat. Ampeln wurden schon am Wochenende zerstört, am Montag kippte die Meute geparkte Autos um und brannte sie ab. Zahlreiche Häuser wurden beschädigt, ein Mob konnte erst mit Blendgranaten und Tränengas davon abgehalten werden, die Polizeistation zu stürmen. Bewohner eines Altersheimes wurden bedroht, die Scheiben des Heims eingeworfen. Der Schaden erreicht sechsstellige Höhe.

Hout Bay praktiziert seit den Neunzigerjahren, bisher mit erstaunlich wenig Reibungsfläche, den Spagat zwischen Arm und Reich. Im Jahr 1993, als die Nation längst auf dem Weg zur Demokratie war, sollte in dem bis dahin vor allem von Weißen bewohnten Hout Bay am Fuße eines Berges eine Struktur für etwas mehr als 3000 dunkelhäutige Südafrikaner geschaffen werden. Inzwischen leben rund 21.000 Menschen auf einer Fläche von 18 Hektar, was gerade einmal einem Dutzend Fußballplätzen entspricht.

Die Blechhütten, in Südafrika Shacks genannt, stehen hier so dicht beieinander, dass es bei Feuern jedes Jahr enorme Zerstörungen gibt. So katastrophal wie Anfang März, als ein Feuer zwei Tage lang wütete und 10.000 obdachlos machte, war es aber noch nie.
Die Community in Hout Bay hielt danach zusammen, unabhängig von der Herkunft. In den Tagen nach der Katastrophe gab es Tausende Sach- und Geldspenden, Hunderte Freiwillige leisten noch immer ehrenamtliche Arbeit, Supermärkte verteilten kostenlos Lebensmittel. Und die Stadt lieferte kostenlos Baumaterialien.

„Leben menschenunwürdig“

Doch fast vier Monate später ist die Situation für viele noch immer katastrophal. Die Aktivistin Debra Mkhaphuza von der Bürgervereinigung Imizamo Yethu Movement erklärte sich bereit, die Lebensbedingungen von 300 Menschen zu zeigen, die notdürftig neben einem Fußballplatz in der Nähe des Township untergebracht wurden. Hunderte weitere Township-Bewohner schlossen sich den Protesten an. „Wir leben menschenunwürdig“, sagt Mkhaphuza.

Das steht außer Frage. Die Nothütten bestehen aus vier Blechwänden und einem Dach, sie stehen auf dem schlammigen Boden der Wiese. In den vergangenen Tagen gab es immer wieder Überschwemmungen, und das bei nächtlichen Temperaturen von fünf Grad. Die Stadt erlaubt keine Stromleitungen, es gibt nur wenig fließendes Wasser, gekocht werden darf aus Sicherheitsgründen auch nicht in den Shacks.

„Die Stadt hat uns monatelang eine Lösung versprochen, wir haben friedlich verhandelt“, sagt Mkhaphuza, „wir müssen unsere Stimmen hörbar machen.“ Der Platz im Township reicht nicht, die abgebrannte Fläche wurde in vielen Fällen von anderen Bewohnern bebaut. Die Stadt steht angesichts des rasanten Wachstums in den Townships vor einer nur schwer zu bewältigenden Aufgabe – jährlich ziehen Zehntausende aus ärmeren Provinzen Südafrikas auf der Suche nach Arbeit hierher. Ich halte das Potenzial des Landes trotz allem noch immer für groß. Das gilt auch für Hout Bay, das in gewisser Hinsicht ein großes Experiment darstellt. An wenigen Orten Südafrikas leben Menschen aller Hautfarben auf so engem Raum zusammen, die meisten bisher friedlich.

Doch selten war hier die Wut so groß wie in diesen Tagen, auch das gilt für Menschen aller Hautfarben. Die einen haben kein Vertrauen in die Institutionen, um auf friedlichem Weg Gehör zu finden. Bei den anderen schwindet das Vertrauen in den Staat, geschützt zu werden. Ein Alleinstellungsmerkmal für Hout Bay ist das nicht. Es sind nicht nur giftige Tage für den Vorort – sondern für das Land.

AUF EINEN BLICK

Hout Bay, ein Vorort des südafrikanischen Kapstadt, wurde früher vor allem von Weißen bewohnt. 1993 siedelten sich 3000 Schwarze in Blechhütten an, mittlerweile leben 21.000 auf einer Fläche von nur 18 Hektar. Im März machte ein Brand die Hälfte von ihnen obdachlos. Die Stadtverwaltung versprach Hilfe, doch die Bewohner der Slums fühlen sich im Stich gelassen. Seit Samstag blockieren Demonstranten den Zugang zum wohlhabenderen Teil von Hout Bay.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2017)

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