Tod im Spital

Die größte Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte

Niels H. bei seinem Prozess.
Niels H. bei seinem Prozess. (c) REUTERS
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Eine Sonderkommission wartet mit erschreckenden Erkenntnissen auf: Der schon zu „lebenslang“ verurteilte Ex-Krankenpfleger Niels H. soll weitaus mehr Patienten getötet haben als zunächst vermutet. Ermittler sprechen von mindestens 84 weiteren Mordopfern.

Oldenburg. Die Dimension der Verbrechen mache „fassungslos“. Mit diesen Worten beschrieb Oldenburgs Polizeipräsident Johann Kühme am Montag die neuesten Erkenntnisse der Ermittler zur Mordserie des deutschen Ex-Krankenpflegers Niels H. an Spitalspatienten. Der Mann war bereits im Februar 2015 wegen zwei Morden, drei versuchter Morde sowie einer gefährlichen Körperverletzung im Klinikum Delmenhorst zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Schon damals war aber klar: die Zahl der Opfer dürfte weitaus höher liegen.

Am Montag gaben nun die Ermittler der Sonderkommission „Kardio“ aus Staatsanwaltschaft und Polizei bekannt, dass dem ehemaligen Krankrenpfleger 84 weitere Morde zur Last gelegt werden. Oldenburgs Polizeipräsident betonte jedoch, dass die Gesamtzahl der Todesopfer noch weitaus höher sein dürfte. Die Taten könnten aber nicht mehr nachgewiesen werden. Der Fall H. könnte damit die größte Mordserie in der deutschen Nachkriegsgeschichte sein.

H. hatte von 1999 bis 2002 zunächst am Klinikum Oldenburg und von 2003 bis 2005 auf der Intensivstation im Klinikum Delmenhorst als Pfleger gearbeitet. Erst im Juni 2005 flogen die Untaten des Mannes auf: eine Krankenschwester ertappte H. dabei, wie er einem Patienten ein Mittel verabreichen wollte, das dieser gar nicht bekommen sollte.

Das Landesgericht Oldenburg verurteilte H. schließlich 2006 wegen versuchten Totschlags zu fünf Jahren Haft. Der Bundesgerichtshof kippte das Urteil, im Revisionsprozess wurde H. 2008 wegen Mordversuchs zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Tödliche Medikamente

Doch die Ermittlungen der Behörden gingen weiter. 2014 erhob die Staatsanwaltschaft erneut Anklage gegen den früheren Krankenpfleger. Eine Sonderkommission ging mittlerweile von 200 Verdachtsfällen aus. Im Jänner 2015 gestand H. vor Gericht etwa 90 Taten: Der Krankenpfleger verabreichte Patienten verschiedene Medikamente, um sie in Lebensgefahr zu bringen. Dann wollte er sie angeblich wiederbeleben, um gegenüber seinen Kollegen als heldenhafter Retter dazustehen. Viele Menschen überlebten dabei aber nicht.

Im Februar 2015 erfolgte dann die Verurteilung in sechs Fällen zu lebenslanger Haft. Bereits im Juni 2016 gaben die Ermittler aber bekannt, dass H. für mindestens 33 Todesfälle im Klinikum Delmenhorst verantwortlich sei. Und der Ex-Krankenpfleger habe gestanden, auch im Klinikum Oldenburg Patienten getötet zu haben.

Die Leichen von mehr als 130 Menschen, die in beiden Spitälern gestorben waren, ließ die Sonderkommission aus Staatsanwaltschaft und Polizei in den vergangenen Jahren exhumieren und auf Rückstände der missbräuchlich verabreichten Medikamente untersuchen. Bei 48 Patienten in Delmenhorst und 36 Patienten in Oldenburg sei man dabei fündig geworden, teilten nun die Behörden mit. Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres will die Staatsanwaltschaft deshalb nun erneut Anklage gegen H. erheben.

Potenzielle Opfer eingeäschert

„Die Morde, die wir belegen können, sind nur die Spitze des Eisberges“, sagte am Montag Soko-Leiter Arne Schmidt. Allein im Klinikum Delmenhorst seien mehr als 130 Patienten, die während der Dienstschichten von Niels H. starben, eingeäschert worden. Ein Nachweis der genauen Todesumstände sei bei ihnen deshalb nicht mehr möglich. Die Polizei löst die Sonderkommission jetzt auf, die Ermittlungen in der Causa laufen aber noch weiter.

Aufgrund der inzwischen vorliegenden Informationen gehen die Ermittler auch davon aus, dass H. den ersten nachweisbaren Mord bereits im Jahr 2000 und nicht erst 2003 beging. (APA/dpa)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2017)

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