USA: Gefangen im „Horrorhaus“

Ein unscheinbarer Bungalow im kalifornischen Perris als Gefängnis: 13 Geschwister waren hier festgehalten worden.
Ein unscheinbarer Bungalow im kalifornischen Perris als Gefängnis: 13 Geschwister waren hier festgehalten worden.(c) APA/AFP/GETTY IMAGES/Sandy Huffa
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Sie waren verwahrlost und unterernährt: Ihre 13 Kinder hatte ein Ehepaar aus Kalifornien eingesperrt. Einige waren an ihre Betten gekettet. Die Polizei konnte nun die Geschwister befreien.

Washington. Das Haus in der Muir Woods Road kam den Nachbarn schon immer etwas merkwürdig vor. Die Familie Turpin, die dort wohnte, hatte viele Kinder, die man aber nur selten auf der Straße sah. Und wenn sie einmal draußen waren, dann zu seltsamen Zeiten wie spät am Abend. Die Kinder wirkten bleich und sagten wenig. Jetzt ist ans Tageslicht gekommen, was sich in dem Haus in der Muir Woods Road abgespielt hat – und die USA sind entsetzt.

Der Schock sitzt auch deshalb so tief, weil das Haus der Turpins in der Stadt Perris, rund 100 Kilometer südöstlich von Los Angeles, so normal wirkt: ein hellbrauner Bungalow im sogenannten Ranch-Style mit großer Garage und vier Autos in der Einfahrt. Dass man in den vergangenen Jahren nicht viel von den Turpin-Kindern sah, nahmen die Nachbarn mit einem Schulterzucken hin.

Am Sonntagmorgen um sechs Uhr wurde schließlich klar, was im Haus Nummer 160 in der Muir Woods Road vor sich ging. Eine 17-jährige Tochter des Ehepaares fand irgendwo in dem Bungalow ein Handy und wählte die Notrufnummer. Was sie der Polizei erzählte, schockte sogar erfahrene Beamte: Sie selbst und zwölf weitere Kinder der Turpins würden in dem Haus gefangen gehalten.

Als die Polizei kurz darauf das Haus durchsuchte, fand sie 13 ausgemergelte Kinder und Erwachsene im Alter von zwei bis 29 Jahren in verdunkelten Zimmern, von denen einige mit Ketten an ihre Betten gefesselt waren. Sie bettelten um Wasser und Nahrung, in den Zimmern stank es nach Fäkalien. Die Polizisten glaubten zunächst, nur Minderjährige vor sich zu haben, so abgemagert, bleich und schwach waren selbst die sieben Geiseln im Erwachsenenalter. Das 17-jährige Mädchen, das die Polizei gerufen hatte, sah aus wie zehn. Alle kamen wegen Unterernährung in medizinische Behandlung. Es sei „unglaublich“, was den Kindern angetan worden sei, sagte ein Krankenhauschef der Nachrichtenagentur Reuters.

Kein „logischer Grund“

Louise Anna Turpin, 49, und David Turpin, 57, wurden festgenommen, weil sie den Beamten keinen „logischen Grund“ dafür nennen konnten, warum sie so mit ihren Kindern umgegangen sind, lautet die trockene Erklärung im Polizeibericht. Mit der hohen Kaution von jeweils neun Millionen Dollar wollen die Behörden sicherstellen, dass die beiden Eheleute zunächst einmal hinter Gittern bleiben: Der Strafvorwurf gegen sie lautet auf Folter und Gefährdung des Kindeswohls. Wie lange die Kinder wie Gefangene gehalten wurden, ist nicht bekannt. Laut Medienberichten besuchten die Turpins zuletzt im Oktober 2015 zusammen mit ihren Kindern die sogenannte Elvis-Kapelle in Las Vegas, um ihr Ehegelübde zu erneuern. Elvis-Darsteller Kent Ripley sagte dem Sender CBS, die Kinder seien zwar auffallend dünn gewesen, hätten aber nicht den Eindruck vermittelt, in einer Notlage zu sein.

Unterdessen kamen immer neue bizarre Einzelheiten ans Tageslicht, die den Fall noch rätselhafter machen. Das Haus der Turpins war als Schule angemeldet und trug offiziell den Namen Sandcastle Day School; David Turpin war als Schuldirektor registriert, obwohl er offenbar keine pädagogische Ausbildung hat. Eine andere Schule besuchten die Kinder nicht. Turpins Eltern sagten den Medien, sie seien davon ausgegangen, dass die Kinder zu Hause unterrichtet würden, was in den USA legal ist. Die Behörden von Perris haben kein Recht zu Kontrollbesuchen bei Privatschulen wie der Sandcastle Day School.

Im Dunkeln draußen gespielt

Die Turpins hätten in den vergangenen zwei Jahren zweimal Privatkonkurs angemeldet, hieß es in US-Zeitungen. David Turpin war Ingenieur beim Rüstungsunternehmen Northrop Grumman und verdiente laut „New York Times“ 140.000 Dollar im Jahr. Doch das Geld habe nicht gereicht, sagte der Anwalt Ivan Trahan, der die Turpins bei einer Konkursanmeldung 2011 vertrat. Damals habe das Ehepaar zwölf Kinder gehabt und begeistert vom Nachwuchs erzählt.

Etwa zur selben Zeit zog die Familie Turpin von Texas nach Perris, doch von einem fröhlichen Familienleben war nichts zu merken. Eine Anrainerin, Wendy Martinez, bemerkte vor einigen Monaten vier der Turpin-Kinder, die in der Dunkelheit auf dem Rasen vor dem Haus spielten, das jetzt überall nur noch das „Horrorhaus“ heißt. „Dünn und wie Albinos“ hätten die Kinder ausgesehen, sagte Martinez der Presse. Sie versuchte, mit ihnen zu reden, doch sie schwiegen und schauten sie nicht an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2018)

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