Wenn sich Flüchtlinge und deutsche Bedürftige ums Essen streiten

APA/AFP/dpa/ROLAND WEIHRAUCH
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In Deutschland ist eine Debatte um die Verteilung von Lebensmittelspenden entbrannt: Die Essener Tafel will nur mehr Sozialleistungsempfänger mit deutschem Pass aufnehmen.

In Deutschland ist eine heftige Kontroverse um einen Verein in Nordrhein-Westfalen entbrannt, der die Verteilung von Lebensmittelspenden an Bedürftige organisiert. Einmal mehr wird damit auch Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik Thema öffentlicher Debatten. Die sogenannte Essener Tafel hat einen Aufnahmestopp für Ausländer verhängt. Seit Jänner nimmt die Organisation, die Lebensmittel an registrierte Empfänger von Sozialleistungen verteilt, nur mehr Menschen mit deutschem Pass neu in ihre Kartei auf. Die Empfänger müssen Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen und dies der Tafel nachweisen.

Die Gründe für die Entscheidung gab die Hilfsorganisation vergangene Woche bekannt: Aufgrund der Flüchtlingswelle in den vergangenen zwei Jahren seien mittlerweile drei von vier Kunden Ausländer. Stammkunden der Tafel, vor allem alleinerziehende Mütter und ältere Frauen fühlten sich von den vielen fremdsprachigen jungen Männern in der Warteschlange abgeschreckt, argumentierte der Vereinsvorsitzende Jörg Sartor.

Teilweise habe er auch "mangelnden Respekt gegenüber Frauen" beobachtet, sagte er in einem Interview. "Wenn wir morgens die Tür aufgeschlossen haben, gab es Geschubse und Gedrängel ohne Rücksicht auf die Oma in der Schlange." Vor dem starken Zuzug von Migranten 2015 habe der Ausländeranteil nur bei 35 Prozent gelegen. Radikale Befürworter der Tafel hießen das nicht gut: Sie beschmierten Türe und Fahrzeuge des Vereins mit Schimpfwörtern wie "Nazi" oder "Ausländerhasser".

Tafel macht Merkel für Problem verantwortlich

Unterstützung bekam Sartor von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. "Die ganze Diskussion zeigt, dass die Integrationsfähigkeit schlicht eine Grenze hat", meinte er. Sozialsysteme oder der Wohnungsmarkt dürften nicht wegen der Vielzahl an Flüchtlingen an ihre Grenzen stoßen. Auch in anderen Regionen gebe es ähnliche Probleme.

Die Kanzlerin hingegen kritisierte die Entscheidung - und erntete dafür selbst eine Rüge. "Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut", sagte Merkel in einem RTL-Interview. "Aber es zeigt auch den Druck, den es gibt", fügte sie hinzu. Wenig später ruderte sie zurück: Sie wolle der Essener Tafel die Entscheidung, wie sie mit den Schwierigkeiten zwischen Deutschen und Ausländern umgehen, selbst überlassen. Doch sie hoffe, auf eine gute Lösung, die nicht bestimmte Gruppen ausschließe, sagte ihr Regierungssprecher Steffen Seibert.

Die Tafel will sich nach der Empörungswelle zwar in einem runden Tisch mit Vertetern sozialer Einrichtungen eine Neuregelung finden. Doch damit sei das eigentliche Problem nicht gelöst, sagte der Vorsitzende der Tafeln in Deutschland, Jochen Brühl. Politiker müssten sich fragen, welchen Anteil sie selbst an den wachsenden Problemen hätten, sagte er. Es gebe einen "unfassbaren Niedriglohnsektor", eine unzureichende Grundsicherung und eine unausgegorene Zuwanderungspolitik: "Die politischen Rahmenbedingungen müssen verbessert werden, das ist nicht die Aufgabe der Tafel. Das ist Aufgabe des Staates." 

"Verteilungskonflikte um abgelaufene Lebensmittel"

Äuch die Links-Politikerin Sahra Wagenknecht machte die "fahrlässige" Berliner Politik verantwortlich: Der eigentliche Skandal sei, "dass es in einem reichen Land wie Deutschland inzwischen Verteilungskonflikte um den Zugang zu abgelaufenen Lebensmitteln gibt." Es könne nicht sein, "dass die Ärmsten jetzt auch noch die Hauptlasten der Zuwanderung tragen sollen", schrieb sie in einem Kommentar auf Facebook - und forderte zugleich die Einführung eines Mindestlohns.

Die Essener Tafel verteilt jede Woche in 13 Verteilstellen Lebensmittel an rund 6000 Menschen. Darüber hinaus beliefert die Tafel eigenen Angaben zufolge knapp 110 soziale und karitative Einrichtungen wie Mittagstische in sozialen Brennpunkten oder Anlaufstellen für Obdachlose mit weiteren rund 10.000 Menschen. Bundesweit verteilen die Tafeln regelmäßig Lebensmittel an bis zu 1,5 Millionen Bedürftige.

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(maka)

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