Großrazzia in Flüchtlingsheim

Flüchtlingsheim in Ellwangen
Flüchtlingsheim in EllwangenREUTERS
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Im zweiten Versuch überwand die Polizei in Ellwangen den Widerstand gegen die Abschiebung eines Asylwerbers aus Togo. Innenminister Seehofer plädiert für härteren Kurs.

Wien/Berlin. Die jüngste Aufregung in der Flüchtlingsdebatte in Deutschland hat eine unscheinbare Stadt in Baden-Württemberg nahe der bayerischen Grenze auf die politische Landkarte gesetzt. Seit Donnerstag bringen die Deutschen die 27.000-Einwohner-Stadt Ellwangen, über der ein Renaissanceschloss und eine spätromanische Basilika thronen und wo eine Batteriefabrik 1300 Mitarbeitern Lohn und Brot gibt, in Verbindung mit einer Großrazzia in einem Flüchtlingsheim am Stadtrand. Die Abschiebung eines angeblich 23-jährigen Westafrikaners unter teils dramatischen, teils chaotischen Umständen entfachte eine neue Kontroverse über die Rechte von Asylwerbern und die Aufgaben des Rechtsstaats und der Exekutive.

Ein Großaufgebot der Polizei, rund 100 Polizisten, vermummt und mit einer Hundestaffel, war in der Morgendämmerung des Donnerstags ausgerückt, um in einem neuerlichen Versuch den Togolesen Yussif O. in Gewahrsam zu nehmen und nach Italien abzuschieben – laut Dublin-Abkommen der EU dessen Erstaufnahmeland. Der Widerstand beim ersten Anlauf in der Nacht auf Dienstag hatte die Ordnungskräfte indessen gewarnt.

Bedrängt und bedroht

In dem Flüchtlingsheim sind derzeit rund 500 vorwiegend afrikanische Flüchtlinge untergebracht. Rund ein Drittel der Asylwerber aus Ländern wie Nigeria, Kamerun oder Guinea hat die Besatzung der beiden Streifenwagen so bedrängt, bedroht und einen solchen Wirbel geschlagen, dass sie unverrichteter Dinge wieder abzog. Die Polizei hatte die Abschiebung als Routineangelegenheit betrachtet, der konzertierte Widerstand überrumpelte sie. Aalens Polizeivizepräsident, Bernhard Weber, mutmaßte über „organisierte Strukturen“. „Wir haben eine Situation erlebt, wie wir sie noch nie erlebt haben.“ In der „Bild“-Zeitung erklärte Yussif O., seine „Brüder“ seien ihm zu Hilfe gekommen.

Als die Polizei am Donnerstag in der Früh wiederkehrte und die Flüchtlingsunterkunft stürmte, wollte sie sich keine Blöße geben. Unter Geschrei und Hundegebell sprangen mehrere Flüchtlinge aus den Fenstern. Die Polizisten führten Yussif O. aus Togo, einer ehemaligen deutschen Kolonie, und 17 weitere Flüchtlinge, die als Unruhestifter auffällig geworden waren, ab. Sie stehen vielfach unter dem Verdacht des Drogenbesitzes und des Widerstands gegen die Staatsgewalt. Waffen, wie sie befürchtet hatte, fand die Polizei in dem Heim allerdings nicht. Weber rechtfertigte den groß angelegten Polizeieinsatz: „Es besteht die Gefahr eines rechtsfreien Raums. Das können und wollen wir nicht zulassen.“

Seehofer für Ankerzentren

Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Thomas Strobl (CDU), der Innenminister Baden-Württembergs, sehen sich in ihrer strikteren Migrationspolitik bestätigt. Seehofer bezeichnete die zunächst vereitelte Abschiebung als „Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung“. Das Gastrecht dürfe nicht mit Füßen getreten werden, sagte der CSU-Chef, dessen Partei in fünf Monaten in Bayern eine Landtagswahl zu schlagen und dabei die absolute Mehrheit zu verteidigen hat.

Bei der Abschiebung von Flüchtlingen forderte Seehofer Härte und Konsequenz – und stieß dabei insbesondere bei der AfD und ihrer Fraktionschefin, Alice Weidel, auf positives Echo. Der Innenminister plädiert für die Einrichtung von sogenannten Ankerzentren, wo künftig Asylverfahren abgewickelt werden sollen – bis hin zur Rückführung.

Togo, eines der ärmsten Staaten der Welt, gilt zwar als nicht sicheres Herkunftsland. Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte im Vorjahr aber mehr als 90 Prozent der Asylanträge von Flüchtlingen aus Togo ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2018)

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