Trauerfeiern für ermordeten saudischen Journalisten und Dissidenten Khashoggi. Ankara will neue Beweise vorlegen, die den saudischen Regenten belasten: Mohammed bin Salman wird vermutlich trotzdem im Amt bleiben.
Istanbul/Riad. Die Trauergemeinde versammelte sich nach dem Mittagsgebet. Hunderte Gläubige stellten sich auf dem Hof der Fatih-Moschee in Istanbul auf, um das Totengebet zu sprechen – doch der Marmortisch, auf dem normalerweise der Sarg des Verstorbenen aufgebahrt wird, blieb leer.
Mit der Trauerkundgebung vor einer der größten Moscheen der Stadt wurde der saudische Journalist und Dissident Jamal Khashoggi geehrt, der am 2. Oktober im saudischen Konsulat von Istanbul ermordet wurde. Die Feier war zugleich eine politische Demonstration gegen Saudiarabien. Auch in vielen anderen Städten der Welt, von Washington bis Jakarta, sollte des Journalisten gedacht werden.
Die Initiative für die Istanbuler Trauerfeier war von seiner türkischen Verlobten, Hatice Cengiz, ausgegangen. Mehr als sechs Wochen nach Khashoggis Ermordung durch saudische Agenten in Istanbul zeichnet sich allerdings ab, dass der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, sein Ziel, den Rücktritt des saudischen Kronprinzen, Mohammed bin Salman, zu erzwingen, verfehlen wird.
Kurz vor der Zeremonie hatten die USA erstmals mit konkreten Schritten auf den Mord an Khashoggi reagiert. Washington erließ Sanktionen gegen 17 saudische Verdächtige, darunter einen engen Berater des Kronprinzen, und den saudischen Konsul in Istanbul, Mohammed al-Otaibi. Nicht auf der Liste steht dagegen Ex-Geheimdienstchef Ahmad al-Assiri, obwohl dieser als Mittäter gilt. Die saudische Staatsanwaltschaft fordert die Todesstrafe für fünf Beschuldigte. Aus Sicht der Türkei handelt es sich um Bauernopfer. Erst kürzlich hatte der Prinz die Türkei Teil eines „Dreiecks des Bösen“ genannt, gemeinsam mit dem Iran und radikalen Islamisten.
Ankara will nun weitere Beweise vorlegen, dass saudische Agenten nach Istanbul kamen, um Khashoggi zu töten. Da die Türkei bei ihrer harten Linie bleibt, prüft die US-Regierung laut Medien eine Auslieferung des Erdoğan-Erzfeindes Fethullah Gülen an die Türkei für den Fall, dass Ankara im Gegenzug den propagandistischen Feldzug gegen den Kronprinzen einstellt. Ankara lehne einen solchen Deal jedoch ab.
Aufpasser für den Prinzen
Trotzdem ist kaum zu erwarten, dass der Thronfolger zurücktreten muss. Außenpolitisch kann der Prinz trotz aller Kritik auf Unterstützung zählen. Innenpolitisch verfügt er als Verteidigungsminister und Oberaufseher über die Geheimdienste über eine beträchtliche Machtbasis. Sicherheitsbehörden, die früher von verschiedenen Zweigen der Königsfamilie kontrolliert worden seien, unterstünden inzwischen allein den Thronfolger, betonte Yezid Sayigh vom Carnegie-Nahostzentrum.
Allerdings wird er künftig möglicherweise nicht mehr so frei schalten und walten können wie bisher. Im Königspalast von Riad steht der Prinz offenbar unter Beobachtung von Aufpassern, besonders seines Onkels Ahmed bin Abdulaziz, der nun aus dem Londoner Exil nach Saudiarabien zurückkehrte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2018)