Papst enttäuscht Missbrauchsopfer

Papst vergleicht Kindesmissbrauch mit Menschenopfern – und enttäuscht: Die Rede sei „der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld zu stellen“, sagt Matthias Katsch vom deutschen Opferschutzverband „Eckiger Tisch“.
Papst vergleicht Kindesmissbrauch mit Menschenopfern – und enttäuscht: Die Rede sei „der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld zu stellen“, sagt Matthias Katsch vom deutschen Opferschutzverband „Eckiger Tisch“.(c) REUTERS (REUTERS TV)
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Vertreter jener Personen, die als Kinder von katholischen Geistlichen sexuell missbraucht wurden, hatten sich eine deutlichere Verurteilung erhofft. Konkrete Maßnahmen dürften aber folgen.

Rom. Enttäuschung herrscht in Rom. In seiner mit Spannung erwarteten Rede zum Abschluss des dreitägigen Treffens zum Thema „Der Schutz von Minderjährigen in der Kirche“ findet Papst Franziskus Worte und Parallelen, die dem einen oder anderen im Halse stecken geblieben sein dürften: Er setzt Missbrauch unter anderem mit Menschenopfern gleich. Es bringe ihm „eine grausame religiöse Praxis in Erinnerung, die in der Vergangenheit in einigen Kulturen verbreitet war, nämlich Menschen – oft Kinder – bei heidnischen Ritualen zu opfern“, sagte der Papst am Anfang seiner Ansprache, die er am Sonntag vor den 190 Teilnehmern der Missbrauchskonferenz hielt. Konkrete Maßnahmen nannte er aber keine. Diese kündigen später andere an.

Seit Donnerstag tagten im Vatikan die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen, Ordensobere und Kurienvertreter, um das Thema Kindesmissbrauch und Maßnahmen zu diskutieren, wie die Kirche das Übel aus den eigenen Reihen ausmerzen kann. Eine Zusammenkunft in dieser Form ist einmalig im Vatikan. Da es sich aber weder um eine Synode noch um ein Konzil handelte, waren bindende Beschlüsse, die von vielen erwartet und gefordert wurden, von vornherein ausgeschlossen. Auch deshalb blickten am Sonntag alle auf den Papst, der die gesamten drei Tage bei den Diskussionen und Vorträgen selbst auch anwesend war.

Vertreter der Opfer sind empört

In einer ausführlichen Einleitung betont der Pontifex am Sonntag zunächst, dass die meisten Missbrauchsfälle an Kindern in der Familie passieren, und zitiert weltliche Studien aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten. „Anstatt konsequent aus der Opferperspektive die Verantwortung der Kirche zu benennen, war es routiniertes und uninspiriertes Abspulen von Selbstverständlichkeiten“, sagte Thomas Schüller, Direktor am Institut für Kanonisches Recht an der Universität Münster über die Rede, die er schlicht „ein Fiasko“ nennt. Erst im zweiten Teil seiner Ansprache kommt Franziskus auf die Kirche zu sprechen. „Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die weltweite Verbreitung dieses Übels bestätigt, wie schwerwiegend es für unsere Gesellschaft ist, schmälert aber nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche.“ Die Unmenschlichkeit dieses Phänomens auf weltweiter Ebene werde in der Kirche noch schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ethischen Glaubwürdigkeit stehe. „Die Rede des Papstes ist der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen“, kommentierte Matthias Katsch vom deutschen Opferschutzverband „Eckiger Tisch“ die Ansprache auf Twitter.

In seiner Rede verspricht Franziskus erneut ein Ende der Vertuschung und hartes Durchgreifen gegen Täter. Mit konkreten Maßnahmen, wie das erreicht werden soll, hielt er sich aber zurück. Selbst in der Formulierung von sieben Punkten, auf die sich die Kirche nun konzentrieren müsse, fehlen Anleitungen, wie das in der Praxis aussehen soll. So heißt es, dass die Leitlinien der Bischofskonferenzen „verstärkt und verifiziert“ werden müssten. Die existierenden Parameter müssten „als Normen und nicht bloß als Orientierungen gelten“. Besonders müsse „ein neuer wirksamer Ansatz zur Prävention in allen Einrichtungen und Bereichen kirchlicher Tätigkeit entwickelt werden“.

„Sehr konkret, sehr deutlich“

Der deutsche Kardinal Reinhard Marx verteidigt die Rede des Papstes. „Ich kann nicht erkennen, dass das nur qualmiges, nebulöses Gerede war“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz: Die Rede sei „sehr konkret, sehr deutlich“ gewesen. Der Papst habe in den sieben Punkten seine Leitlinien dargestellt, die die Bischofskonferenzen nun in ihren Ländern umsetzen müssten. Auch Kardinal Christoph Schönborn sah in dem Gipfel einen „Qualitätssprung in der Auseinandersetzung mit einem schweren, sehr belastenden Thema“. Er habe „noch nie eine so offene, direkte, ehrliche, unverschlüsselte Begegnung erlebt wie in diesen vier Tagen“, sagte er zu „Kathpress“.

Einen Hoffnungsschimmer, dass es nicht nur bei Sonntagsreden bleiben könnte, lieferte Padre Federico Lombardi, der mit im Vorbereitungskomitee der Konferenz saß und das Treffen moderiert hat. Er war es, der gestern konkret Initiativen ankündigte. Ein neues Papst-Schreiben zum Thema Kindesmissbrauch sowie neue Richtlinien und Gesetze seien in Arbeit. Außerdem habe der Papst den Willen geäußert, „Taskforces“ zu installieren, Teams aus „kompetenten Personen“, die den Bischofskonferenzen und Diözesen, die Schwierigkeiten beim Umgang mit dem Thema Missbrauch hätten, beistehen sollen. Charles Scicluna, Erzbischof von Malta, der den Gipfel mit vorbereitet hatte, ergänzte, der Papst werde diese Anweisungen „in unmittelbarer Zukunft“ verkünden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2019)

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