Türkei: Ein Flughafen als „Siegesdenkmal“

Warten auf den Beginn des Regelbetriebs am neuen Flughafen von Istanbul.
Warten auf den Beginn des Regelbetriebs am neuen Flughafen von Istanbul.(c) BULENT KILIC / AFP / picturedesk (BULENT KILIC)
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Am heutigen Samstag nimmt der neue Mega-Airport in Istanbul seinen Betrieb auf. Das Prestigeprojekt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan scheidet die Geister.

Istanbul. Die einen freuen sich und sind stolz. Die anderen fürchten sich: Am Samstag nimmt der neue Mega-Flughafen nördlich der türkischen Metropole Istanbul den vollen Flugbetrieb auf. „Von hier aus zu fliegen wird sehr, sehr schön“, jubelte die regierungstreue Zeitung „Sabah“. „Ich werde die ersten drei Monate nicht von dort fliegen“, sagt dagegen ein Istanbuler Geschäftsmann, der dem neuen Airport nicht traut. Das Großprojekt, das von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan als Aushängeschild der Wirtschaftskraft seines Landes präsentiert wird, entzweit schon vor dem Start die Gemüter.

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Der Riesen-Airport mit dem einfachen Namen Istanbul soll nach dem Endausbau der größte der Welt sein. Auf sechs Startbahnen sollen bis zu 200 Millionen Passagiere im Jahr in Istanbul empfangen und verabschiedet werden. Das wären fast doppelt so viele wie beim seit Langem nach Passagieraufkommen größten Airport der Welt, Hartsfield-Jackson in Atlanta (US-Bundesstaat Georgia, ca. 107 Millionen Passagiere 2018).

Somit soll die Bosporus-Metropole zu einem der weltweit wichtigsten Drehkreuze werden, in einer Liga mit London, Hongkong, Singapur, Dubai. Istanbul soll Superlative liefern: Geschäfte, Lokale, Bars und Duty-free-Shops auf fast 100.000 Quadratmetern, knapp 230 Passkontroll-Schalter, Fluggast-Brücken für 165 Flugzeuge, Parkmöglichkeiten für 70.000 Autos.

Auf über 7500 Hektar hat ein Konsortium aus regierungsnahen Unternehmen das Werk in den vergangenen vier Jahren mit 40.000 Arbeitern aus dem Boden gestampft. Geschuftet wurde Tag und Nacht, unter skandalösen Bedingungen, wie Gewerkschaften klagen. Nach Recherchen einer Oppositionszeitung starben bis zu 400 Arbeiter bei Unfällen; die Regierung spricht von 50 Todesopfern. Die lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen, verlausten Unterkünfte und miserable Verpflegung für die Arbeiter ließen Oppositionspolitiker von „Sklaverei“ sprechen.

25 Mrd. Dollar Kosten

Man will der Welt mit dem Bau zeigen, wozu türkische Ingenieure, Firmen und Arbeiter in der Lage sind. Anders als in Berlin, wo beim geplanten Hauptstadt-Airport nichts recht vorangeht, sollte in Istanbul in Rekordzeit der modernste Flughafen der Welt entstehen. Glaubt man der Regierung, ist das gelungen. Erdoğan nennt den 25 Milliarden Dollar teuren Airport ein „Siegesdenkmal“. Andere sind da nicht so sicher. Mehrmals wurde die für Oktober 2018 geplante Aufnahme des Betriebs verschoben. Bisher starten und landen nur wenige Maschinen. Von den sechs Startbahnen sollen heuer nur drei in Betrieb sein, vorerst liegt die Kapazität bei 90 Mio. Menschen im Jahr.

Auch die hohen Kosten sorgen für Ärger. Laut Medienberichten musste der Staat den am Flughafenbau beteiligten Unternehmen mit Milliardenkrediten unter die Arme greifen, um einen Kollaps des Projekts zu verhindern. Am Ende könnte der Staat auf hohen Verlusten sitzen bleiben.

Trotzdem soll es jetzt losgehen: In der Nacht zum Samstag stoppen die Turkish Airlines, der Hauptkunde des Airports, alle Flüge vom bisher genutzten Atatürk-Flughafen. Fast 2000 Arbeiter sollten in den folgenden 45 Stunden tonnenweise Gerät, Fahrzeuge und anderes zum rund 25 Kilometer nördlich von Istanbul gelegenen neuen Airport bringen. Die Lastwagen dafür werden nach Medienberichten in dieser Zeit insgesamt 400.000 Kilometer zurücklegen. Nach dem „großen Umzug“, wie der Transfer bei Turkish Airlines heißt, soll bis Sonntag der normale Flugbetrieb aufgenommen werden. Auch andere große Airlines werden dann den neuen Flughafen nutzen.

Der Atatürk-Flughafen bleibt zunächst noch für Frachtflüge geöffnet und soll zu einem Kongresszentrum werden. Einige Istanbuler werden jetzt schon nostalgisch bei dem Gedanken. Andere befürchten ein Chaos bei der Flughafenverlegung, weil der neue Airport noch keine Metro-Anbindung hat, was die Anreise für viele Istanbuler lang und beschwerlich macht.

Übersät mit Baggerseen

Kritiker sorgen sich überdies, dass es nicht bei Verspätungen bleiben wird. Sie verweisen darauf, dass das Flughafengelände am Schwarzen Meer vor Beginn der Bauarbeiten mit bis zu 20 Meter tiefen Lehmgruben und Baggerseen übersät war: Das sei keine stabile Basis, urteilte sogar die türkische Ingenieurskammer.

Im vergangenen Jahr tat sich bei Arbeiten an der Metro-Verbindung plötzlich ein tiefes Loch vor dem Terminal auf. Auch von häufigem Nebel, starkem Wind und Zugvögeln ist die Rede. „Auf die Istanbuler und auf die Flughafen-Nutzer kommen ernsthafte Gefahren zu“, warnte die regierungskritische Zeitung „BirGün“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2019)

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