Warum Londons neue Klima-Guerilla über Festnahmen jubelt

APA/AFP/TOLGA AKMEN
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"Rebellion gegen die Auslöschung“ lautet das Motto der Klimaschutzbewegung „Extinction Rebellion", die seit Anfang der Woche mit zivilem Ungehorsam London lahm legt. Auch in Österreich ist sie bereits aktiv.

Mit diesen Aktionen sorgen sie für Aufsehen: Sie kleben ihre Hände an Züge, schütten literweise falsches Blut vor die Residenz der britischen Premierministerin Theresa May, ziehen sich während Parlamentsdebatten im britischen Unterhaus bis auf die Unterhosen aus, veranstalten „Rebellen-Picknicks“ im Hyde Park. Und vor allem: Seit Montag legen sie in einer selbst erklärten Protestwoche ganze Stadtteile der britischen Hauptstadt lahm - von der Waterloo Brücke bis zum Flughafen Heathrow.

„Extinction Rebellion" heißt die Bewegung, die die Londoner Polizei vor eine Herausforderung stellt. Auch am Freitag wieder wurden die Klima-Aktivisten tätig: Von einem rosaroten Boot aus blockierten sie den Oxford Circus im Herzen Londons. Auch die Schauspielerin Emma Thompson war gekommen, um ihre Unterstützung zu signalisieren. „Tell the truth“, „Sagt die Wahrheit", stand auf der symbolischen Arche Noah.

Denn, warnen die Anhänger der vergangenen März in Großbritannien gegründeten Bewegung: In Folge von Erderwärmung, Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung drohe ein gigantisches Massenaussterben, dem sechsten in rund 540 Millionen Jahren. Wenn es so weitergehe wie bisher, könnten mehr als zwei Drittel der Arten auf dem Planeten bis Ende des Jahrhunderts verschwunden sein.

Aktivisten fordern Mobilisierung im Weltkriegs-Ausmaß

So tragen die Protestierenden stets das gleiche Logo mit sich: Eine Sanduhr auf bunten Transparenten. Die Zeit läuft ab, lautet die Botschaft. Der Appell richtet sich an die Regierung in Westminster. Sie solle einen „Klimanotstand“ ausrufen. Der Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen müsse in fünf Jahren auf null gesenkt, die Artenvielfalt erhalten werden.

Protest im rosaroten Boot (mit Sanduhr-Logo am Heck).
Protest im rosaroten Boot (mit Sanduhr-Logo am Heck).(c) AFP (TOLGA AKMEN)

Und: Es brauche eine „Bürgerversammlung“. Ein zivilgesellschaftliches Gremium, das Entscheidungen treffe, die Politiker als zu kontrovers oder schwierig erachteten. Vertrauen, dass die Politik die von ihnen geforderte radikale Kehrtwende alleine vollziehe, haben die Demonstranten nicht: Sie sei von Wirtschafts- und Machtinteressen getrieben.

Um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen, setzt die Klimaschutz-Guerilla auf eine „Rebellion gegen die Auslöschung“. Nur mit einer „friedlichen, weltumfassenden Mobilisierung im Ausmaß des Zweiten Weltkrieges“ könne das Schlimmste verhindert werden. 70.000 Menschen aus rund 30 Ländern, darunter auch Österreich, sind dem Ruf der britischen Vorreiter mittlerweile gefolgt.

Aktivisten blockierten Wiener Ringstraße

Petitionen, Demonstrationen, Briefe und Berichte – all das habe bisher nicht geholfen, um ein Umdenken im Umweltschutz zu erreichen, argumentiert die Initiative. Ihre Strategie ist klar: Es geht darum, öffentliche Aufmerksamkeit zu erhalten.

„In der Vergangenheit wurden gesellschaftliche Veränderungen immer am schnellsten durch zivilen Ungehorsam erreicht“, erklärt Paul Sajovitz, ein Aktivist des österreichischen Ablegers, der „Presse“. Vorbild ist etwa der indische Widerstandskämpfer Mahatma Gandhi. Festnahmen sind ausdrücklich erwünscht. Um die „Dringlichkeit der Situation bewusst zu machen“, sagt Sajovitz. Schon am Montag hatte die Bewegung, die in Österreich an die 70 Anhänger zählt, die Wiener Ringstraße blockiert. Am Freitag fand ein weiterer Protest statt, um auf die Folgen der Umweltkatastrophe aufmerksam zu machen.

In London dürfte die bisherige Haft-Bilanz die Protestierenden zufrieden stimmen: Knapp 600 Festnahmen gab es seit Beginn der „internationalen Rebellion“ diese Woche. Auf der Kurznachrichtenplattform Twitter teilte Extinction Rebellion am Donnerstag ein Video mit tanzenden Menschen am Parliament Square: „Hut ab für die Aktivisten, die heute verhaftet wurden“, stand darunter.

Die britische Politik ist freilich weniger begeistert: Londons Bürgermeister Sadiq Khan zeigte sich diese Woche „besorgt“ über die Verkehrsblockaden. Innenminister Sajid Javid forderte die 1000 im Einsatz befindlichen Polizisten auf, „die gesamte Härte des Gesetzes“ gegen die Aktivisten anzuwenden.

Greta Thunberg vor Tausenden in Rom

Einen ähnlich dringenden Appell richtete am Südende Europas am Freitag die schwedische Aktivisten Greta Thunberg an die Politik: In Rom waren Tausende Schüler zu einem Klimastreik mit der 16-jährigen Schwedin zusammengekommen. „Es genügt nicht, dass Politiker uns sagen, dass sie uns und unseren Einsatz bewundern", sagte die junge Frau. „Wir Jugendliche drängen, damit sie sofort handeln und wir unsere Träume und unsere Zukunft zurückerlangen können. Wir haben diese Krise nicht geschaffen. Wir wurden in diese Krise hineingeboren.“ Und sie kündigte an: Bei ihrem Besuch kommende Woche in der britischen Hauptstadt werde sie sich der „Rebellion“ anschließen.

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