Philippinen: Freibrief für Mord im Drogenkrieg

Auch die dreijährige Kateleen wurde in Dutertes „Drogenkrieg“ getötet: Hier der ältere Bruder vor dem Sarg des Mädchens.
Auch die dreijährige Kateleen wurde in Dutertes „Drogenkrieg“ getötet: Hier der ältere Bruder vor dem Sarg des Mädchens.(c) APA/AFP/NOEL CELIS
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Laut Amnesty International wurden schon Tausende Menschen im Drogenkrieg von Präsident Duterte getötet: Meist genügt der Verdacht, um Opfer eines Mordkommandos zu werden.

Manila/Wien. Jovan Magtanong schlief fest, neben ihm lagen seine drei Kinder, als die Polizisten mitten in der Nacht an der Tür klopften. „Sie riefen den Namen eines anderen Mannes“, erzählten später Verwandte einem Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. „Dann stürmten sie in die Wohnung – und schossen auf Jovan. Wie ein Tier haben sie ihn umgebracht.“

Anders lautete die Version der Behörden: Magtanong habe mit einer Pistole auf die Polizisten gefeuert. In seinem Haus seien Säckchen mit „verbotenen Substanzen“ gefunden worden. Die Verwandten des Opfers wiesen dies zurück: Jovan habe seit mehr als einem Jahr keine Drogen angefasst. Und eine Waffe habe er gar nicht besessen.

Fest steht: Der 30-Jährige stand nie vor einem Gericht, nicht einmal angeklagt wurde er wegen seiner angeblichen Drogendelikte. Sein tragisches Schicksal ist in dem südostasiatischen Inselstaat kein Einzelfall mehr, wie Amnesty in seiner Studie „They just kill“ dokumentiert. Laut dem Bericht, der am Montag publiziert wurde, gehören außergerichtliche, willkürliche Morde durch die Polizei inzwischen zum traurigen Alltag in philippinischen Armenvierteln.

Mehrere Tausend Menschen seien demnach „durch Polizisten oder durch unbekannte bewaffnete Personen mit Verbindungen zur Polizei“ getötet worden, seit Präsident Rodrigo Duterte vor drei Jahren seinen „Drogenkrieg“ ausgerufen hat. Die genaue Opferzahl ist unklar, denn die Polizei verwische alle Spuren. Bei so gut wie keinem Mord gibt es rechtliche Folgen: Die Verantwortlichen gingen straffrei aus oder würden versetzt, so Amnesty. Die Angehörigen hätten in den allermeisten Fällen ohnehin weder die Mittel noch die Beziehungen, um die Täter anzuzeigen. Die Regierung selbst spricht von mindestens 6600 Tötungen seit Beginn „des verstärkten Einsatzes“ 2016: Dabei habe es sich immer um „Notwehr“ gehandelt, die Polizisten seien angegriffen worden. „Dass Polizisten oder Undercover-Agenten aus Gründen der Selbstverteidigung töteten, ist vollkommen unglaubwürdig“, sagt Nicholas Bequelin, Amnesty-Regionaldirektor für Südostasien.

Die Todeslisten der Polizei

In den Philippinen genüge allein der Verdacht, Drogen zu konsumieren, zu handeln oder zu produzieren, um in Lebensgefahr zu geraten: Die Menschenrechtsorganisation berichtet von Todeslisten, die in den Polizeistationen der Armenvierteln kursierten: Darauf seien „verdächtige“ Einwohner aufgelistet. Der Vorwurf eines Nachbarn genüge, um auf der Liste zu landen.

Für den Bericht untersuchte die Organisation 20 Fälle, bei denen 27 Menschen zu Tode kamen. Bei 18 Fällen handelte es sich um offizielle Polizeieinsätze. Fast alle Opfer standen auf einer „Drogen-Todesliste“. Die Verbrechen wurden zwischen Mai 2018 und April 2019 in der Provinz Bulacan, nördlich von Manila, begangen.

Amnesty fordert eine Untersuchung durch den UN-Menschenrechtsrat. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat bereits Vorermittlungen zu Dutertes Drogenoffensive eingeleitet.

Der Präsident hatte zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2016 versprochen, „Drogenkriminelle“ aufs Härteste zu verfolgen. Er beteuert aber, keine Genehmigung für außergerichtliche Tötungen erteilt zu haben. Anders klingt er vor Wählern, die mehrheitlich seinen Kurs unterstützen. Erst am Freitag drohte er: „Wehe, ihr zerstört mein Land. Wehe, ihr produziert Drogen, die unsere Kinder verrückt machen. Ich werde euch töten, falls ihr das tut.“ (basta.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2019)

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