Die Einigung bei der Schulreform verzögert sich zwar noch einmal. Gesamtschulversuche werden aber schon jetzt immer wahrscheinlicher. Vorarlberg und Burgenland könnten Testregionen dafür sein.
Wien. Für manche war es wohl ein Déjà-vu: Trotz medienwirksamer Einigung der Regierung am Sonntagabend verzögerte sich der Abschluss der Bildungsreform noch einmal. Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) und Wissenschaftsminister Harald Mahrer (ÖVP) wollten den Grünen, deren Stimmen sie im Parlament brauchen, am Montagvormittag den Gesetzestext übermitteln. Doch dann hieß es wieder: warten. Erst am Abend wurde der Text den Grünen übermittelt. Nun wird man bis Dienstag auf deren Zustimmung warten müssen. Die wichtigste Forderung der Grünen beinhaltet der Entwurf aber jedenfalls: Er öffnet die Tür für die Gesamtschule.
1 Wird die Unterstufe des Gymnasiums nun abgeschafft und durch die Gesamtschule ersetzt?
Nein. Ganz so weit gehen die Zugeständnisse an die Grünen nicht. In einzelnen Bundesländern könnte die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen allerdings tatsächlich flächendeckend eingeführt werden – nämlich in Vorarlberg und im Burgenland. Die beiden Länder erfüllen die paktierten Kriterien. Österreichweit dürfen nur 15 Prozent aller Schulen einer Schulart die Gesamtschule erproben – also 15 Prozent der AHS-Unterstufen und 15 Prozent der Neuen Mittelschulen (NMS). Es dürfen demnach 42 der bundesweit rund 280 AHS-Unterstufen mitmachen. Bei der Schülerzahl gibt es ebenso eine Obergrenze. Es dürfen nicht mehr als 5000 AHS-Schüler Teil einer Modellregion sein. Damit kann die Gesamtschule rein rechnerisch nur in zwei der neun Bundesländer getestet werden (siehe Grafik).
2 Wie wahrscheinlich ist es, dass in Vorarlberg und im Burgenland die Gesamtschule kommt?
Die Gesamtschule ist durch das Angebot an die Grünen ein ganzes Stück näher gerückt. Es bleibt aber ein langer Weg. Zwar sind Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) und Burgenlands Landeschef Hans Niessl (SPÖ) Befürworter der Gesamtschule. Die Einführung einer solchen ist aber keine rein politische Entscheidung. Lehrer und Eltern haben ein Wörtchen mitzureden. Sie können die Umwandlung zur Gesamtschule mit einfacher Mehrheit am Standort ablehnen. Eine landesweite Modellregion wäre damit gescheitert. Denn eine Gesamtschule zeichnet sich dadurch aus, dass sie von allen Kindern einer Altersgruppe besucht wird und es keine Ausweichmöglichkeiten gibt.
3 Wollen Lehrer, Eltern und Schüler eigentlich eine Gesamtschule?
Die offiziellen Vertreter der AHS-Lehrer, der Eltern an höheren Schulen und der Schüler nicht. Laut dem Vorarlberger Forschungsprojekt zur Gesamtschulmodellregion sind die Eltern und Lehrer an Volksschulen und Neuen Mittelschulen mehrheitlich für eine Gesamtschule, die Lehrer beider Schultypen sogar zu mehr als 70 Prozent. An den AHS sind die Eltern skeptischer: 45 Prozent sind dafür, 33 Prozent dagegen, die übrigen noch unentschlossen. Bei den üblicherweise besonders ablehnenden AHS-Lehrern sind immerhin 25 Prozent dafür und 18 Prozent unentschlossen – auf die Mehrheit fehlt da aber ein ganzes Stück: 57 Prozent sind dagegen.
4 Ist die Modellregion zur Gesamtschule das einzige Zugeständnis an die Grünen?
Nein. Unter anderem ging man auch bei den Schulverbünden auf die Grünen zu: Hier soll es „Mischcluster“ geben können. Das heißt, dass Bundes- und Landesschulen – etwa eine NMS und ein Gymnasium – zu einer Verwaltungseinheit fusioniert und von einem Direktor geleitet werden können. Aber nur, wenn die Pädagogen zustimmen. Auch die Lehrer versucht man zu beruhigen: In der Verfassung soll festgeschrieben werden, dass in jedem Bundesland durchschnittlich höchstens 25 Schüler in einer Klasse sitzen dürfen. Einen derartigen „Standard“-Bericht bestätigte man der „Presse“. Die Lehrer haben dagegen protestiert, dass Direktoren freie Hand bei der Klassengröße bekommen, und vor allem in Wien vor „Riesenklassen“ gewarnt.
5 Bekommt die ÖVP jetzt, da sie eingelenkt hat, im Gegenzug ihre Studienplatzfinanzierung?
Das ist nicht unwahrscheinlich. Nachdem die ÖVP vergangene Woche mehrfach in Abrede gestellt hat, dass sie die Bildungsreform an die Studienplatzfinanzierung mit neuen Zugangsbeschränkungen knüpfe, drängte Vizekanzler Wolfgang Brandstetter (ÖVP) gestern: Nun sei die SPÖ bei der Studienplatzfinanzierung und beim Sicherheitspaket am Zug. Auch die Rektoren, die zuletzt einen „Notfallplan“ vorgestellt haben, sind wieder zuversichtlicher, dass sich beim Uni-Budget und bei den Beschränkungen etwas tut.
6 Wann soll die Bildungsreform beschlossen werden? Wie geht es weiter?
Die Regierung hofft, dass sie am heutigen Dienstag die Zustimmung der Grünen bekommt. Beschlossen werden könnte das Gesetzeswerk dann noch Ende Juni.
AUF EINEN BLICK
Zwei zentrale Teile der Bildungsreform könnten jetzt noch umgesetzt werden: die Schulautonomie und die neue Schulverwaltung. Nach langem Hin und Her einigten sich SPÖ und ÖVP am Sonntagabend auf ein Angebot an die Grünen. Deren Stimmen sind nämlich für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2017)