Ganztagsschule: Sterben die Musikschulen aus?

(c) Die Presse (FABRY Clemens)
  • Drucken

Von den 184.000 Musikschülern könnte etwas über ein Viertel abhanden kommen. Probleme werden vor allem im ländlichen Raum erwartet. Musikschulen seien weit mehr als nur ein Ort des Lernens.

WIEn. Österreichweit besuchen heute 184.000 Kinder und Jugendliche eine Musikschule, 140.000 davon sind im Pflichtschulalter. „Wenn nun laut einer Umfrage des Bildungsministeriums ein Drittel aller Eltern dazu entschlossen ist, die Ganztagsschule zu nutzen, betrifft das mindestens auch rund 50.000 Musikschülerinnen und Musikschüler“, sagt Walter Rehorska, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Musikerziehung Österreich (AGMÖ).

Er betont, „aus pädagogischen und familienlogistischen Gründen bin ich absolut kein Gegner ganztägiger Schulformen“. Allerdings: Auf die Bedürfnisse musizierender Kinder müsse bei der Planung und Umsetzung ganztägiger Schulformen Rücksicht genommen werden. Man müsse bei der Gestaltung von Freizeitaktivitäten innerhalb der Ganztagsschule ganz klar trennen „zwischen Kreativität, Sport und Musik“.

Der Flow-Effekt

Wenn man ein Instrument erlerne, bedeute das eben nicht nur, nachmittags einen entsprechenden Unterricht zu besuchen. „Nur wenn man auch regelmäßig übt, stellt sich der Flow-Effekt ein, dann gibt es die ersten Erfolge.“ Regelmäßig üben: Das bedeute am Anfang fünfmal in der Woche wenigstens eine halb Stunde trainieren, je nach Fortschritt steigert sich diese Zeitspanne und das Instrument muss täglich gespielt werden.

Aber wird es an den Ganztagsschulen auch entsprechende Räume geben, in denen die Schüler tatsächlich einzeln üben können? In den Städten gebe es bereits jetzt viele Kooperationen zwischen Musik- und Volksschulen, sagt Rehorska. Allerdings vor allem im Bereich des Basis-, also Gruppenunterrichts. Das sei wunderbar in den ersten zwei Lernjahren. Mit der zunehmenden Individualisierung des Unterrichts bei fortschreitendem Können gestalte sich das schwieriger.

Örtliches Kulturzentrum

Rehorska gibt zudem zu bedenken, dass Musikschulen im ländlichen Raum weit mehr als nur ein Ort des Lernens seien: Hier werde der Nachwuchs für viele Vereine – etwas Blasmusikkapellen – herangebildet. Die Musikschule fungiere aber auch oft als örtliches Kulturzentrum. „Es gibt Standorte mit bis zu 400.000 Besuchern im Jahr.“

Wolfgang Fleischhacker leitet eine solche Musikschule. Die Musikschule Murau unterrichtet heute 850 Kinder und Jugendliche, 36 Lehrkräfte sind im Einsatz. Neben dem Stammhaus in Murau gibt es auch Zweigstellen in Neumarkt, Oberwölz, Ranten, St. Lambrecht, St. Peter am Kammersberg, in Scheifling und in Stadl an der Mur. „Es ist sehr wichtig, dass man rausfährt zu den Leuten.“ Wenn der Unterricht nun im Rahmen einer Ganztagsschule bis 16 Uhr, 16.30 Uhr dauere, „dann sind die Schüler mit den schlechten Verkehrsverbindungen am Land frühestens um 17 Uhr, 17.30 Uhr zu Hause“, meint Fleischhacker. Auch er betont: „Wir sind alle keine Gegner der Ganztagsschule. Aber es gibt eben starke und schlechte Zeiten. Und zum Üben braucht man einen Raum, in dem man ungestört ist. Wir befürchten, dass die Musik hier auf der Strecke bleiben wird.“

Würde die Ganztagsschule morgen eingeführt, „würde das einen sofortigen Rückgang der Schülerzahlen von etwa 30 bis 40 Prozent bedeuten“, so Fleischhacker. Wie auch Rehorska regt er daher an, den Musikunterricht in das Ganztagsschulkonzept zu integrieren. Er kann sich zum Beispiel vorstellen, dass die Musiklehrer in das Pflichtschulsystem integriert würden.

Keine Zeit für Wahrnehmung

Wenig kann er einer „Amerikanisierung des Instrumentalunterrichts“ abgewinnen – im sogenannten Klassenmusizieren mit Collegebands werde mehr schlecht als recht in Instrumente getrötet. „Diese Instrumente muss man auch nicht mit nach Hause nehmen, geübt wird während der Probe, für musikalische Wahrnehmungen bleibt ohnehin keine Zeit, weil man sich mit der Vermittlung von technischen Elementarkenntnissen herumschlagen muss, zum Beispiel mit Griffbezeichnungen über den Noten.“ Wer als talentiert eingestuft werde, lerne etwas später in Fünfergruppen. „Nach drei Jahren in solchen Kursen darf der begabteste Schüler vielleicht zu einem Musikprofessor, wo er draufkommt, dass er für eine Musikerkarriere etwas zu alt ist.“ Dieses System sei leichter finanzierbar, mache den meisten Kindern genauso viel oder auch mehr Spaß. Das sei auch gut so, passe aber eben nicht ins „Musikland Österreich“.

Ein seltener Wert

Ähnliche Sorgen macht sich auch Rehorska. Schon jetzt gebe es „eine große Jammerei“, weil an den heimischen Musikuniversitäten immer mehr Studierende aus dem Ausland verzeichnet würden. Wobei Rehorska hier erklärend hinzufügt: oft hätten internationale Bewerber um Plätze an den heimischen Musikunis schon eine entsprechende Ausbildung im Ausland hinter sich.

Generell sei die Dichte der musikpädagogischen Angebote in Österreich „ein Wert, den man in der Welt selten findet“. Doch der musikalische Nachwuchs müsse gepflegt werden. Er hofft nun auf entsprechende Konzepte im Rahmen der Diskussion um die Ausweitung der Ganztagsschule.

www.agmoe.at

www.ms-murau.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.