Proseminar: Wurstsemmel

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In der Wiener U6 gibt es ein Essverbot. Im Hörsaal an der Uni nicht. Ein Dilemma für Lehrveranstaltungen? Nein, man kann das viel dezenter regeln.

Zu Beginn des Semesters muss man als Lehrveranstaltungsleiter hart sein. Denn Studierende neigen dazu, Grenzen auszureizen. Und setzt man die nicht von Beginn an streng – die Grenzen, nicht die Studierenden –, kann der Lehrbetrieb zeitweise ins Anarchische kippen. Sagt man, dass ein bisschen später kommen oder früher gehen kein Problem ist, tauchen schnell die ersten Fragen auf, ob man nicht vielleicht gleich eine ganze Einheit auslassen könnte. Was bei einer vierteiligen Blockveranstaltung mit je sechs Stunden schon ziemlich viel wäre. Und besteht man nicht darauf, dass eine Übung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abgegeben werden muss („Und jetzt simulieren wir Zeitdruck durch einen Redaktionsschluss!“), kommt sie sowieso erst irgendwann gegen Ende des nächsten Semesters.

Der Toaster am Laptop. Mit dem Essen ist es ähnlich. „Wer Hunger hat, darf natürlich auch etwas essen“ gilt in der ersten Stunde nämlich als Freibrief. Da wird dann nicht mehr nur verschämt ein Weckerl aus dem Rucksack gezogen und unauffällig daran geknabbert, sondern am USB-Anschluss des Laptops womöglich gleich ein Toaster installiert. Und irgendwann klopft während einer Übung plötzlich der Pizzamann mit einer Lieferung an der Hörsaaltür. Im Zweifel also lieber nein sagen. Und dass es ja ohnehin zumindest zwei Pausen geben wird.

Auf der anderen Seite, man will ja nicht gleich Ulli Sima sein. Ein Totalverbot wie in der U6 ist im Hörsaal auch wieder übertrieben. Und Slogans wie „Der kleine Leberkäse und seine geruchsintensiven Freunde haben sich in den Hörsaal verlaufen“ wären stilistisch an einer Hochschule noch mehr fehl am Platz als in öffentlichen Verkehrsmitteln. Also nimmt man es einfach hin – und findet es sogar ein bisschen rührend. Wenn zwischen zwei intensiven Fragerunden jemand unauffällig (kleiner Hinweis: Von vorne sieht man es trotzdem.) eine Wurstsemmel aus dem Rucksack zieht und sie nach einem Biss genauso wieder darin verschwinden lässt. Oder sich jemand neben einigen konzentrierten Gesichtern sichtlich bemüht, die Kaubewegungen möglichst dezent zu machen.

Unausgesprochener Deal. Es gilt dann ein unausgesprochener Deal: Wer es wirklich nicht mehr aushält, soll halt nebenbei an etwas knabbern. Solange die Atmosphäre einer Lehrveranstaltung nicht der einer Mensa weicht, ist das kein Drama. Umgekehrt unterlässt man als Lehrveranstaltungsleiter soziale Bloßstellung – ausgerechnet die Kollegin etwas zu fragen, die gerade von einem Kornspitz abgebissen hat, wäre unfair. Und außerdem schlechter Stil in der Tradition der Rohrstaberlpädagogik. Wobei, wenn sich jemand während der Einheit plötzlich mit Messer und Gabel über ein Cordon bleu hermacht . . . aber gut, diese Frage hat sich bisher noch nie gestellt. Und für jene, die in meiner nächsten Lehrveranstaltung sitzen – belassen wir es auch dabei!

Zum Autor

Erich Kocina ist Chef vom Dienst in der „Presse“ und leitet seit 2010 jeweils im Sommersemester eine Übung zu Printjournalismus am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien.

("UniLive", Print-Ausgabe, 26.09.2018)

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