Geisteswissenschaften: Taxifahren muss nicht sein

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Taxi(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sind diese Studien – auch an den FH – tatsächlich so brotlos? Welche zählen dazu? Und wie kombiniert man akademische Geistesgröße mit praktischer Jobfitness?

Der Medizinstudent wird Arzt, der Justudent Rechtsanwalt und der Philosophie- oder Germanistikstudent? Lektor oder Taxifahrer.

Pointierter Spott oder ein realistischer Hinweis darauf, mit welchen Karriereproblemen sich Geisteswissenschaftler herumzuschlagen haben? Tatsache ist, dass Schwierigkeiten beim Berufseinstieg häufiger gegeben sind als für Absolventen anderer Fachbereiche. Es werde am Arbeitsmarkt vorbei ausgebildet, meinen Kritiker und berufen sich auf Studien wie jene des deutschen Hochschul-Informationssystems, wonach im Schnitt nur 50 Prozent aller geisteswissenschaftlichen Absolventen nach einem Jahr einen ausbildungsadäquaten Job haben. Bei Wirtschaftswissenschaftlern liegt die Quote bei 80 bis 90 Prozent. Auffällig ist auch das signifikante Missverhältnis zwischen Absolventenzahl und der geringen Anzahl der Stellenangebote.

Geisteswissenschaften an FH

Und wie sieht die Situation an Österreichs FH aus, die in Abgrenzung zu Universitäten gern ihre Praxis- und Anwendungsorientierung hervorheben? Grundlegend anders – was allerdings zunächst an einer weiter gefassten Definition liegt. Nach der Internationalen Standardklassifikation für das Bildungswesen (ISCED, ein Instrument zur Erstellung international vergleichbarer Bildungsstatistiken) werden auch gestaltende und künstlerische Ausbildungen den Geisteswissenschaften hinzugerechnet. So gesehen verzeichneten die FH laut Angaben des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (uni:data warehouse Hochschulbereich) im Vorjahr 955 Studierende (bei insgesamt 41.336 FH-Studierenden) im Bildungsfeld Geisteswissenschaften und Künste.

„Die Bachelorstudiengänge Journalismus und Public Relations, Informationsdesign sowie Industrial Design fallen bei uns ebenso in den Bereich Geisteswissenschaften und Künste wie die Masterprogramme Communication, Media & Interaction Design, Ausstellungsdesign oder Content-Strategie & digitale Kommunikation“, erklärt Johanna Theurl von der FH Joanneum in Graz. Auch Michael Unger von der FH Campus Wien fasst den Begriff sehr weit auf: Diverse Studiengänge zur Sozialen Arbeit sowie Elementarpädagogik zählt er ebenso dazu wie die Lehrgänge Führung, Politik & Management und Transkulturelles Handeln.

Kombinationen anstreben

Was die Angebote der Fachhochschulen gemein haben, sei ein Berufsfeld, das dem Studienplan zugrunde liege. „Im Bereich der neuen Medien, der Onlinekommunikation oder der User Interfaces sind diese Studien stark projektorientiert. Skills wie Projektmanagement, Sprachkompetenz, Betriebswirtschaft und technische Grundlagen sind Teil des Curriculums“, so Theurl. Den vermeintlich schwierigen Berufseinstieg erleichtere ein Berufspraktikum von mindestens 15Wochen am Ende des Studiums. Auch werden Auslandsaufenthalte stark gefördert.

Absolventen eines geisteswissenschaftlichen Bachelorstudiums, die über keine Berufserfahrung verfügen, empfehlen Experten dennoch die Streuung ihres Bildungsportfolios. „Ratsam ist – wenn es die persönlichen Interessen erlauben –, anstelle eines geisteswissenschaftlichen Masterstudiums eine Zusatzausbildung in einem anderen Feld anzupacken, da interdisziplinäre Qualifikationen in der Arbeitswelt immer stärker gefragt sind“, so Unger. Besonders aussichtsreich seien Kombinationen mit Wirtschaft und Technik. Damit steigen die Chancen, in der Privatwirtschaft Fuß zu fassen – mit einer Vielzahl an möglichen Beschäftigungsaussichten. Je nach Studienschwerpunkt kommen beispielsweise Tätigkeiten als Journalist, Lehrer, Kulturmanager oder Personalberater infrage.

Laut Statistik entschieden sich bisher zahlreiche arbeitssuchende Germanisten für ein Lehramtsstudium – Germanistik kann als Lehramtsfach Deutsch angerechnet werden. Ebenso beliebt ist die Qualifikation Deutsch als Fremdsprache. Und die Philosophen? Sie sind, verglichen mit anderen Geisteswissenschaften, am seltensten ohne Job. Einige Arbeitsbereiche bieten sich besonders an, etwa Lehre und Forschung an Universitäten. Zahlenmäßig relevant sind auch die Lehramtsstellen an Schulen im Fach Philosophie/Ethik sowie Tätigkeiten als Berater oder im Verlagswesen.

Digitale Wege

Gute Perspektiven könnten sich künftig auch im Bereich der digitalen Medien auftun. So wurde vor wenigen Wochen von Wissenschafts- und Forschungsminister Karlheinz Töchterle und dem Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, Anton Zeilinger, das Österreichische Zentrum Digitale Geisteswissenschaften aus der Taufe gehoben. „Es sollen neue Möglichkeiten, die sich durch die digitale Erfassung und wissenschaftliche Bearbeitung von Texten und Artefakten bieten, vermehrt genutzt und somit die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften gezielt gestärkt werden“, so Töchterle und Zeilinger.

Auch die FH Burgenland bietet mit dem berufsbegleitenden Masterstudiengang Angewandtes Wissensmanagement digitale Weiterbildung – aber nicht nur. „Angesprochen sind Fachexperten aus dem Bereich der Geisteswissenschaften, die sich im Rahmen ihrer Berufsfelder verstärkt mit Fragen der Kommunikation, des Lernens und der Organisation beschäftigen wollen“, so Georg Pehm, Geschäftsführer der FH. Studierende werden zu Fachleuten für Wissensmanagement, E-Kommunikation und E-Kollaboration, E-Learning ausgebildet.

GEISTREICHE WISSENSCHAFTEN

Die Frage, ob nicht berufsfeldbezogene Studien in Anbetracht des Arbeitsmarkts überhaupt noch zeitgemäß sind, taucht immer öfter auf. Denn ein schneller Einstieg in den Arbeitsmarkt wäre anfangs natürlich von Vorteil, sowohl für den Einzelnen als auch für die Volkswirtschaft. In Summe würde das kulturelle und wissenschaftliche Leben aber natürlich extrem eingeschränkt werden – mit gravierenden Folgen für die Gesellschaft und damit jeden Einzelnen.

Web:www.uniport.atwww.oeaw.ac.at

www.fh-burgenland.at

www.oeh.ac.at

www.studierendenberatung.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2013)

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