Innsbruck: Plagiatsskandal oder gezielter Rufmord?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mit einer spektakulären Flugblattaktion sollte die Habilitation eines Assistenzprofessors der Rechtswissenschaften verhindert werden. Die Fakultätsleitung ortet eine Intrige unter Kollegen. Der Beschuldigte gibt zumindest kleine Fehler zu.

An der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck staunen derzeit Studenten und Lehrpersonal über ein Schauspiel, das so bisher noch nicht stattgefunden hat. Immer wieder tauchten ebendort in den vergangenen Wochen E-Mails, interne Dokumente und anonyme Behauptungen auf, die den Eindruck erweckten, dass ein Assistenzprofessor und Habilitationswerber im Rahmen einer Habilitationsschrift aus seiner eigenen Dissertation abgeschrieben haben soll, großflächig und ohne sich selbst zu zitieren. Ein vermeintlicher (Eigen)Plagiatsskandal war geboren. Tatsächlich jedoch dürfte es sich um gezielten Rufmord in höchsten Akademikerkreisen handeln.

Der Beschuldigte, der anerkannte Europarechtsexperte Walter Obwexer, bestreitet alle Vorwürfe und bekommt Rückendeckung von der Fakultätsleitung, konkret von Dekan Gustav Wachter. Was hinter der Affäre steckt, und warum für Studenten andere Regeln gelten als für das Lehrpersonal – „UniLive“ hat nachgefragt.

„Habe Hinweis vergessen“

Ihren Ausgang nahm die Affäre am 27. Februar 2008, als Andreas Schwartze, Mitglied der Habilitationskommission und Vorstand des Instituts für Zivilrecht, den Kommissionsvorsitzenden Waldemar Hummer in einem internen E-Mail (dieses liegt „UniLive“ vor) über Folgendes informierte: „Meine Durchsicht der vom Habilitanden eingereichten Habilitationsschrift ,Grundfreiheit Freizügigkeit‘ hat im Vergleich mit dessen 1998 eingereichter Dissertation ,Die Rechte und Pflichten der Unionsbürger aus der Unionsbürgerschaft‘ für die ersten 200 Seiten der Habilitationsschrift eine sehr weitgehende Textidentität ergeben. [...] Diese Vorgehensweise hat mich tief erschüttert. Ich halte diesen Sachverhalt für derart gravierend, dass davon die Gutachter schnellstmöglich in Kenntnis gesetzt werden müssen.“ Was auch geschah. Die Meinung der vier universitätsfremden Gutachter änderte das jedoch nicht. Ergebnis: Alles in Ordnung. Am 9. Mai 2008, es war der Freitag vor Pfingsten, wurde Obwexers Habilitationsgesuch von der Kommission einstimmig stattgegeben. Auf dem entsprechenden Bescheid fehlt nun nur noch die Unterschrift des Rektors. Ein Formalakt. Alles also doch nur ein Sturm im Wasserglas?

„Ja, ich habe vergessen, im Vorwort darauf hinzuweisen, dass die ersten 80 Seiten der kritisierten Schrift, nicht aber wie behauptet 200, auf meiner alten Dissertation aufbauen“, sagt Obwexer heute. Auf Fußnoten, die auf den Text aus dem Jahr 1998 verweisen, habe er deshalb verzichtet, weil ebendort nicht mehr zu erfahren sei als in der aktuellen Habilitationsschrift. Und überhaupt sei das 330 Seiten starke Werk mit dem vollen Titel „Grundfreiheit Freizügigkeit. Das Recht der Unionsbürger sich frei zu bewegen und aufzuhalten als fünfte Grundfreiheit“ nur eines von über 40, die er im Rahmen seines Habilitationsgesuchs eingereicht hatte.

Weniger auskunftsfreudig als der Beschuldigte reagierten die verantwortlichen Universitätsfunktionäre auf die Recherchen von „UniLive“. Sowohl Fakultätsleiter Wachter als auch Kommissionsvorsitzender Hummer beriefen sich auf ihre „Verschwiegenheitspflicht zu einem laufenden Verfahren“ – das seit 9. Mai abgeschlossen ist. Unabhängig vom Habilitationsverfahren stellen sich jedoch beide hinter den Beschuldigten.

„Was da passiert, ist eine üble Rufmordkampagne, die von einem kleinen Personenkreis ausgeht“, so Dekan Gustav Wachter. Er stützt seine Vermutung auf eine Aktion vom 10. April, in der das bis dahin vertrauliche E-Mail von Andreas Schwartze von Unbekannten als Flugblatt auf der gesamten Fakultät verbreitet wurde. Nicht wenige Studenten wandten sich daraufhin empört an ihn.

Die Aktion dürfte mit einer anstehenden Ausschreibung einer Professur für Europarecht zusammenhängen. Eine Position, die mehrere Wissenschaftler aus dem hauseigenen Mittelbau gerne besetzen würden. Anstellungserfordernis: eine einschlägige Lehrbefugnis (Habilitation). Jene Obwexers wollte die Konkurrenz offenbar verhindern.

„Schlampig zitierte Halbsätze“

Dabei waren die Unbekannten nicht zimperlich. Neben „UniLive“ erhielt auch der Salzburger „Plagiatjäger“ Stefan Weber anonyme Postsendungen, die bereits frühere Verfehlungen Obwexers belegen sollten. Der Vorwurf: In mehreren, gemeinsam mit dem Kommissionsvorsitzenden Waldemar Hummer verfassten Fachartikeln soll er von Dritten abgeschrieben haben. Der sonst so kritische Weber dazu: „Was ich hier sehe, sind allenfalls schlampig zitierte Halbsätze.“

Nach dem Universitätsgesetz scheint die Habilitation korrekt. Ob sie den moralischen Ansprüchen der Scientific Community entspricht, wird jedoch von so manchem bezweifelt. Andreas Schwartze, dessen kritische E-Mail nach außen drang, sieht seine damaligen Bedenken inzwischen ausgeräumt. „Man kann aber darüber streiten, ob das Übernehmen eigener Werke der guten, wissenschaftlichen Praxis entspricht.“ „Plagiatjäger“ Weber sieht das ähnlich.

Ungeklärt blieb die Frage, warum Lehrenden erlaubt ist, was Studenten nicht dürfen. Die neuerliche Verwertung großer Teile von Seminar- oder Diplomarbeiten für weitere Zeugnisse ist nämlich untersagt. Weiters ist Hummer der Meinung, dass Obwexers (Eigen-)Plagiat deshalb zulässig war, weil die Dissertation von 1998 als nicht publiziert gelten könne – und das obwohl diese 1999 mit dem Jean-Monnet-Wissenschaftspreis für Europarecht ausgezeichnet wurde. Nachsatz: „Aber dazu gibt es auch andere Meinungen.“

www.uibk.ac.at/fakultaeten/rechtswissenschaftliche/("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2008)

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