„Es war eine harte, gefährliche Zeit“

Vor den Sommerferien versammeln sich noch heute Studenten der Montanuni, um sich beim „Bierauszug“ von den Leobenern zu verabschieden. Hintergrund: Früher war nicht sicher, ob sie ihr Praktikum überleben.

leoben (jule). Die Montanuniversität in Leoben ist klein, die Zahl der Studenten (etwa 2400) überschaubar. Das ist laut Rektor Wolfhard Wegscheider auch ein Grund dafür, dass hier noch heute Bräuche gelebt werden, die seit der Uni-Gründung 1840 bestehen: Der Ledersprung als Initiationsritus für Neulinge, die Philistrierung als besondere Form der Sponsion (siehe Artikel oben) und der Bierauszug, bei dem sich die Studenten vor den Sommerferien von ihren Lehrenden und den Bewohnern Leobens verabschieden.

„In Leoben haben die Studenten und Professoren einen recht intensiven Kontakt“, so Wegscheider. Und: Es gebe ein „Leobener Selbstverständnis“, das von Generation zu Generation weitergereicht werde. „Aber auch neue Professoren beteiligen sich.“

Organisiert werden Ledersprung und Bierauszug – zwei Bergmannsbräuche – von Studentenverbindungen. In Leoben sind beide eng verbunden. Immerhin wurden die Bergmannsbräuche von jenen deutschsprachigen Studenten mitgebracht, die 1849 durch politische Entwicklungen gezwungen wurden, von der Bergakademie Schemnitz (damals Teil Österreich-Ungarns, heute Bankska Stiavnica, Slowakei) nach Leoben zu wechseln.

Damals gab es an der Montanuni nur zwei Studienrichtungen: Berg- und Hüttenwesen. Im Sommer gingen die Studenten zum Praktikum in ein Bergwerk oder eine Stahlhütte, um das Studium zu finanzieren. „Die Praktikumszeit“, so Wegscheider, „war eine harte, gefährliche Zeit“. Das ist auch der Hintergrund des Bierauszugs: Vor Ferienbeginn verabschiedeten sich die (damals deutlich weniger) Studenten mit einem Umzug von Rektor, Lehrenden und Leobenern. Mit reichlich Bier. Schließlich konnten sie nicht sicher sein, dass sie das Praktikum unbeschadet überstehen würden.

„Vergleich wäre frevelhaft“

Zwar wäre es „frevelhaft“, meint Montanuni-Absolvent Richard Rachbauer, den Aufenthalt in einer Stahlhütte vor 150 Jahren mit dem eine Stahlwerk im Jahr 2008 zu vergleichen. „Aber ganz ungefährlich ist es bei einigen Studienrichtungen auch heute nicht.“

Ob bloßes Brauchtum oder tatsächliche Gefahr – der Bierauszug ist auch heute fixer Bestandteil des Sommersemesters. In der Regel, so Rachbauer, nehme etwa ein Viertel der Studenten teil. Wie alle Burschenschafts-Riten hat auch der Bierauszug neben einer bestimmten Choreografie (Absolventen und jüngere Semester vorne, hinten die Bummelstudenten) einen fixen Ablauf: Vor dem neuen Portal der Uni hält der Rektor eine Abschiedsrede und fordert seine Schützlinge auf, beim Praktikum gut auf sich zu achten.

Weiter geht's zum Bergmannsbrunnen am Hauptplatz, wo der Bürgermeister den Studenten dankt, dass sie „die Gastronomie unterstützt“ haben. Daher dürfte auch der Name „Bierauszug“ rühren: Studenten waren fleißige Trinker, und so zog mit ihnen auch das Bier aus Leoben aus. Eine andere Erklärung hat das „Corps Montania“: Da die Studenten fortgingen um zu arbeiten, hatten sie drei Monate lang keine Zeit Bier zu trinken. „Beinahe unvorstellbar.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2008)

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