Karmelitermarkt: Das Dorf liegt in der Stadt

(C) Andrej Fröhlich
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Das Karmeliterviertel ist nach wie vor eine begehrte Wohnadresse. Locals sehen Nachfrage und Zuzug relativ gelassen.

Angenommen, man kommt um Jahre zu spät und interessiert sich noch für das Karmeliterviertel: Die Frage nach einem Bauprojekt oder einer größeren Baureserve im Grätzel etwa beantwortet Bezirksvorsteher Gerhard Kubik mit einem kurzen Lacher. „Es gibt eine einzige Baulücke, und die gehört zur Schule.“ Die Bauarbeiten im grünraumlosen Kern der Leopoldstadt beschränken sich auf das Aufstocken – „wie gerade in der Karmelitergasse“ – oder den Ausbau von Dachgeschoßen. Aber auch bei diesen sei der Zenit überschritten, denn viele Dächer sind bereits adaptiert und die strengeren Bestimmungen und steigenden Kosten sorgen dafür, „dass neue Dachbodenausbauten nur mehr punktuell stattfinden“.

Sättigung, Nachfrageüberhang, Verknappung prägen diesen Brennpunkt der Wohnraumbegehrlichkeiten jenseits des Donaukanals – Karmelitermarkt, Karmeliterplatz und angrenzende Gassen – nach wie vor. Wobei die Ansichten darüber, ob die Teile jenseits der Taborstraße noch „dazugehören“, welche Zonen „im Zweiten“ schon „gehen“ oder es erst einmal eine Vorhut aus dem Kreativprekariat braucht, nur bei jenen vorhanden scheinen, die dort erst eine Wohnung suchen. Die meisten Ortsansässigen indes kratzen solche Abgrenzungsdiskurse nicht – sofern sich Mieten, Zahl der Parkplätze oder die Kosten beim Einkauf nicht drastisch verschlechtern. Klar, wenn die gestandenen Bauern und Einkehrmöglichkeiten auf dem Markt weniger werden, ärgert das die Locals schon.

Die starke Nachfrage von Immobilien im Karmeliterviertel quittiert Architekturtheoretiker Jan Tabor als normalen Lauf der Dinge: „Was hier passiert, passiert überall.“ Nur eben später als im vierten oder siebenten Bezirk oder am Naschmarkt und früher als beim nächsten. Als er hierherzog, gab es im Grätzel mehrere Bäcker, Baufachläden, Marktstandln, einfache Händler, die nach und nach aufhörten, weil sie keine Nachfolger fanden. Auf diese ohnedies „labile Sozioökonomie“ habe sich zusätzlich negativ ausgewirkt, „dass die Tiefgarage kam“. Das ändere ein Marktleben immer. Heute wird dieses stark von neuen Lokalen bestimmt. Und die wiederum sind's, die eine kaufkräftigere Klientel anziehen. „In den letzten Jahren sind vor allem Menschen hergezogen, die überdurchschnittlich viel verdienen“, sagt Kubik. „Es gibt hier fast keinen geförderten Wohnbau.“

Dass die Leopoldstadt durch ihre Geschichte – Sumpf, Ghetto, Zuwanderungsgebiet, stark beschädigt im Krieg und immer wieder Ziel vernichtender städtebaulicher Ideen – wenig verlockend war, ist noch nicht lange her. „Viele Codierungen wurden bis heute übertragen“, sagt Tabor auch aus der Perspektive des Bewohners und Beobachters. Seit den 1970er-Jahren lebt er nahe der Leopoldskirche in einem Neubau – auch das ein „typisches Gebäude“ für die Zeit und den Bezirk, als die letzten Lücken mit schnellem Wohnbau für Familien geschlossen wurden.

Alte Postleitzahl, neue Ziele

„Meine Mutter hat mich damals gefragt, ob ich wahnsinnig bin, in die Russenzone zu ziehen. In manchen Häusern waren damals noch Einschusslöcher vom Krieg zu sehen“, erzählt auch Schauspieler Otto Jankovich von dem schlechten Image des Grätzels – nur zehn Minuten vom Stephansplatz entfernt. Vor 23 Jahren zog er auf den Karmeliterplatz, vor der Gentrifizierungswelle, die mit den Wiener Expo-Plänen ganz langsam in die Gänge kam. Das Lebensgefühl sei nach wie vor eines vom „Dorf in der Stadt“, sein Bewegungsradius innerhalb dessen ist noch kürzer geworden: Zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, dem „Muth“ beim Augarten, liegen nur ein paar hundert Meter. Bis heute hat er dieselbe Adresse, „immer, wenn die Wohnung zu klein wurde, wurde im Haus eine größere frei“. So ist er in dem Gründerzeitgebäude öfter übersiedelt und hat dabei erlebt, wie stark sich die Struktur verändert: „Am Anfang war ich mit Abstand der Jüngste, die meisten Nachbarn waren an die 80. Heute ist es umgekehrt.“ Doch der Zuzug jüngerer, liquider Menschen verläuft sich im Straßenbild: „Gehen Sie einmal am Sonntag spazieren, das ist eine Atmosphäre wie an der Peripherie“, sagt Tabor.

Wer früh hierherzog, hatte jedenfalls Glück: Die Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen sind massiv gestiegen, 7500 Euro unter Dach sind keine Seltenheit. Bezirksvorsteher Kubik sieht manchen weiterziehen, in günstigere Teile: „Richtung Volkert- und Alliiertenviertel. Hin zur Heinestraße.“ Es sei auch der nahe Grünraum, der die Bewohner verstärkt zum Prater lockt. Das Karmelitergrätzel bleibt trotzdem begehrt. „Immer wieder hängen im Hauseingang Zettel von Leuten, die hier eine Wohnung suchen“, erzählt Jankovich.

In der Leopoldstadt

Kosten: Eine Eigentumswohnung im Erstbezug mit „sehr gutem Wohnwert“ kostet laut Immobilienpreisspiegel 2012 durchschnittlich 3846,3 Euro/m2. Für eine gebrauchte Eigentumswohnung mit „sehr gutem Wohnwert“ sind durchschnittlich 2692,8 Euro/m2 hinzulegen. Die Mieten liegen im Durchschnitt bei 9,6 Euro/m2.
Zahlen:
Der Bezirk verzeichnet einen Bevölke-rungszuwachs von 1,73 Prozent. Fast 98.000 Bewohner verteilen sich auf über 5000 Gebäude.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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